Auf dem Berg und im Büro: Mit Unsicherheiten umgehen

Extrembergsteiger Dani Arnold mit Laptop auf Berggipfel
«Gibt es zu wenig Unsicherheiten, dann ist eine Tour zu einfach. Gibt es zu viele, dann ist das Risiko zu hoch», so Dani Arnold, Extrembergsteiger und Rochester-Bern Markenbotschafter. Er weiss, wie man mit Risiken und Unsicherheiten umgeht, denn bei seinen Touren können falsche Entscheidungen über Leben oder Tod entscheiden. Einige seiner Lehren, lassen sich auf die Geschäftswelt übertragen, wie Prof. Dr. Christoph Minnig und Prof. Dr. Jennifer Jordan – beides Dozierende bei Rochester-Bern – bestätigen.

Ob er sich auch vorstellen könne, mit einem normalen Bürojob glücklich geworden zu sein? «Vermutlich nicht», antwortet Dani Arnold. Der Ausnahme-Alpinist hat einen anderen Weg gewählt; einen unkonventionellen Weg, mit mehr Extremen und Unsicherheiten: Seit 2021 – mit der Kletterbestzeit an der Petit Dru – hält er an allen sechs grossen Nordwänden der Alpen den Solo Speed-Climbing Rekord. Bergsteigen ist sein Leben und sein Beruf. «Bei vielen konventionellen Jobs hätte ich mich wohl zu eingeengt gefühlt. Vor einer Bergwand zu stehen, ist für mich die komplette Freiheit. Gehst du rechts, links oder doch über die Mitte? Die Entscheidung liegt bei dir», fügt Arnold hinzu. Gleichzeitig ist er seit 2018 Markenbotschafter von Rochester-Bern Executive Programs.

Tabelle Rekorde Dani Arnold
Tabelle Rekorde Dani Arnold

Doch was hat Bergsteigen mit den Weiterbildungs-Programmen von Rochester-Bern gemeinsam? Eine ganze Menge, wie sich herausstellt. Denn Extrem-Klettern hat viel mit guten Führungskapazitäten, Planung und Management zu tun: Es geht darum, Ziele zu erreichen, Hindernisse zu überwinden, kreative Ideen zu generieren und im Team zu arbeiten. Fälschlicherweise nehmen viele Personen an, dass Bergsteigen ein Ein-Mann-Projekt sei. Doch hinter einem Kletter-Rekord steckt ein ganzes Team, das Dani Arnold bei den Vorbereitungen unterstützt und beisteht. Gerade das Wissen aus dem Bereich des mentalen Trainings lässt sich daher wunderbar von der Berglandschaft ins Büro übertragen.

Tipps im Umgang mit Unsicherheit

Ein Beispiel hierfür bietet der Umgang mit Unsicherheiten. Ein Thema, mit dem wir aktuell alle zu kämpfen haben. «Insbesondere für Schweizer Unternehmen, die Export-orientiert sind, waren die letzten Jahre von Unsicherheiten geprägt: die ganze Wechselkursdiskussion, politische Verwerfungen, Corona und der Ukraine-Krieg haben dazu beigetragen. Aktuell macht Unternehmen insbesondere die Energieknappheit und die Inflation zu schaffen. Niemand weiss, wie sich dies entwickeln wird», sagt Minnig, Dozent für Organizational Behaviour. Es gibt Elemente, die können wir nicht kontrollieren und Führungskräfte müssen damit zurechtkommen.

Doch weshalb tun wir uns eigentlich so schwer mit Unsicherheiten? Sozialpsychologin und Professorin für Führung und Organisationsverhalten, Jennifer Jordan erklärt es wie folgt: «Wir Menschen mögen keine Unsicherheiten, weil wir dies mit mehr Denkarbeit und somit Extra-Aufwand verbinden. Eine Bedrohung stellen Unsicherheiten aber nur dar, wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht genügend Ressourcen haben, um sie zu meistern». Dies gilt sowohl für den Aufstieg an einer Bergwand als auch im Unternehmenskontext. Dani Arnold zieht deshalb die Parallelen zum Management und gibt ein paar Tipps, die Fach- und Führungskräfte anwenden können, wenn sie mit Unsicherheit und Ängsten konfrontiert werden.

Ein alles-ist-möglich-Mindset

«Ich habe Mühe, mit der Aussage ‘Das haben wir noch nie gemacht’. Denn dies will ja nichts heissen», so Arnold. Ein alles-ist-möglich-Mindset ist für ihn essenziell, um Erfolg zu haben und mit neuen unsicheren Situationen umzugehen. «Logisch, ist rein physikalisch nicht alles möglich. Dennoch macht es einen grossen Unterschied, ob du an ein Problem angehst und daran glaubst, dass du es lösen kannst oder ob du von vorneherein aufgibst, weil es ‘noch nicht gemacht wurde’», sagt er. Diese Aussage bestätigt auch Jordan und ergänzt: «Natürlich muss hinter dem Glauben, dass etwas möglich ist, auch eine gewisse Substanz sein. Du musst wirklich davon überzeugt sein und diese Überzeugung kommt oft durch Erfahrung.»

Schritt für Schritt vorgehen

Viele Herausforderungen sind zu meistern, wenn man Schritt für Schritt vorgeht. «Als wir die Petit Dru Nordwand das erste Mal ausgekundschaftet haben, sagten wir uns ‘das klappt nie’. Anschliessend haben wir aber daran gearbeitet und ein Problem nach dem anderen aufgelöst. Kann ich so viele Höhenmeter laufen? Ja, okay, erstes Problem gelöst. Kann ich diesen Teil ohne Seil schaffen? Das geht ebenfalls. Zweites Problem gelöst. Und so weiter…», erzählt Arnold. Am Ende geriet das ganze Projekt in den Bereich des Möglichen und der Rest ist Geschichte: Mit 1:43 Stunden legt Dani Arnold am 15. August 2021 eine neue Kletterbestzeit an der Petit Dru vor.

Auch in der Geschäftswelt wird vermehrt nach Methoden gegriffen, bei denen Schritt für Schritt vorgegangen wird. «Früher wurden Unsicherheiten reduziert, indem ein Ziel definiert und dann der Weg dorthin geplant wurde. Bei sehr komplexen Situationen ist dies aber nicht möglich und ein ‘trial and error’-Ansatz bietet sich an», so Minnig. Ein Beispiel sind Sprints, bei denen Projekte mit kleinen Zwischenzielen erarbeitet werden oder die Scrum-Methode, die nach dem Motto «Reagieren auf Veränderung ist wichtiger, als das Befolgen eines Plans» arbeitet. Diese Schritt-für-Schritt-Ansätze welche sich immer mehr in Kontext von Veränderungen erkennbar sind haben gemäss Minnig eines gemeinsam: «Du erhältst mehr Sicherheit, weil du nicht gleich alle Eier in einen Topf legst, oder indem man nicht eine zu enge und starre Zielvorstellung entwickelt und versucht dieses Ziel auf einem klar definierten und nicht veränderbaren Weg erreichen zu wollen.».

Eine Sicherheits-Marge freihalten

«Viele denken, dass ich beim Klettern, in so einem ganz speziellen Trance Zustand bin, in dem ich alles gebe und links und rechts nichts mehr sehe. Doch das stimmt gar nicht. Auch in Extrem-Situationen muss ich weiterhin auf meine Reserven, mein Wissen, meine Erfahrungen und meine Fähigkeiten zurückgreifen können, um gegebenenfalls zu reagieren», sagt Arnold. Sowohl beim Bergsteigen als auch in der Geschäftswelt sollte man sich also immer eine Marge frei halten. Aufgaben sollten herausfordernd, aber nie überfordernd sein. Personen, die sich so sehr an den Anschlag bringen, dass sie keine Kapazitäten mehr haben, um klar zu denken, leben gefährlich, denn so geschehen Fehler.

In Szenarien planen

Eine gute Vorbereitung ist das A & O. Klingt nach einem Klischee, ist aber wahr. «Tag X an dem ich den Rekord mache, ist vielleicht 20 Prozent der Leistung. Alles andere ist die Vorbereitung», sagt Arnold. Wenn er eine Wand erklettert, weiss er bei jedem Meter, wie er vorgehen will. Dabei ist es aber wichtig, in Szenarien zu planen. «Wenn es Schnee hat, gehe ich links, wenn es keinen hat, gehe rechts. Aufgrund der aktuellen Situation entscheide ich, welchen Plan ich durchführe», so Arnold. Gemäss Minnig lässt sich dieses Modell eins zu eins in die Geschäftswelt übertragen. Dies zeigt sich in der Strategie-Diskussion. «Früher wurde Unternehmen geraten, Strategien auf 5 oder gar 10 Jahre zu erstellen. Heute wird in viel kürzeren Zeithorizonten geplant. Gewisse Führungskräfte sehen sogar ganz von Strategien ab und denken nur noch in Szenarien und Möglichkeiten. Was tue ich, wenn Situation A eintrifft? Welche Möglichkeiten habe ich bei Situation B?», so Minnig.

Auf das Bauchgefühl hören

«100 Prozent sicher bin ich mir nie», sagt Arnold. So etwas wie eine absolute Sicherheit gibt es schliesslich nicht. Auch nicht für den Profibergsteiger, wenn er sich dafür oder dagegen entscheidet, an einem bestimmten Stichtag eine Wand anzugehen. Dies ist auch normal und mit diesem Restrisiko muss jede und jeder umgehen können. «Ich glaube daran, dass man über 90 Prozent beeinflussen kann, aber ca. 5 Prozent bleibt immer ungewiss», so Arnold. Aus diesem Grund plädiert er in solchen Situationen auf das Bauchgefühl zu hören. «Es kommt der Punkt, da hat man alle harten Fakten beurteilt: Stimmt das Wetter? Ist der Schnee geschmolzen? Usw. Dann geht es darum, darauf zu hören, wie man sich an diesem Tag fühlt», so Arnold.

Das Bauchgefühl hat durchaus auch seinen Platz unter Managerinnen und Manager. Wobei unterschiedliche Tendenzen erkennbar sind. Es gibt jene Führungskräfte, die sämtliche betriebswirtschaftlichen Modelle ablehnen, weil sie nur auf ihr Bauchgefühl vertrauen. «Dies hat etwas mit Überheblichkeit und Selbstüberschätzung zu tun», sagt Minnig. Durchaus berechtigt, findet er allerdings jene Führungspersonen, die ein zusätzliches subjektives Element, neben den harten Fakten miteinfliessen lassen, so wie dies auch Dani Arnold tut. «Das Bauchgefühl basiert ja meist auch auf Erfahrungen und hilft Menschen zu ihren Entscheidungen zu stehen», so Minnig. Das Risiko besteht jedoch darin, dass die historisch gewachsenen Erfahrungen sich in der Zukunft, als nicht mehr erfolgreich erweisen.

Die eigenen Grenzen kennen und akzeptieren

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man seine Grenzen kennt. «Viele Leute sehen irgendwelche Bergtouren auf Instagram und kommen dann zu mir, weil sie diese auch machen wollen, obwohl sie noch lange nicht dafür bereit sind», sagt Arnold. Die Leute haben die Tendenz sich zu überschätzen, dabei ist es viel effizienter, wenn man einfach startet und dann Schritt für Schritt vorgeht und immer mehr Unsicherheiten ausmerzt. «Du musst ehrlich sein, mit dir selbst. Auch ich habe gewisse Projekte, die ich 2018 gemacht habe, die ich jetzt nicht mehr machen würde», sagt Arnold. Gerade hinzustehen und seine Grenzen zu akzeptieren, ist auch eine Art der mentalen Stärke und für eine gesunde Entscheidungsfindung in jedem Bereich wichtig.

Konfrontation und Erfolgserlebnisse

«Meine Erfahrungen zeigen, dass es viel einfacher ist, die technischen Fähigkeiten einer Person zu optimieren, als mentale Faktoren», so Arnold. Bekommt z. B. jemand sehr schnell Angst und wird nervös, dann ist es eine grössere Herausforderung dies abzutrainieren, als eine neue Kletterbewegung zu lernen. Trotzdem kann man auch die mentale Stärke verbessern. «Es klingt hart, doch das Einzige, was hier hilft, ist die Konfrontation», so Arnold. Um Ängste abzubauen, muss man sich der Situation aussetzen. Immer ein bisschen mehr und so verschiebt sich die Grenze von dem, was eine Person erträgt. Das Ganze kann auch durch einen Coach unterstützt werden, der einem beisteht. «Doch etwas aus Angst einfach nicht tun, ist nie ein guter Ratgeber», schliesst Arnold.

Auch im Unternehmenskontext, gibt es nur einen Weg, um den Umgang mit Unsicherheiten zu lernen: «Du musst dich den Unsicherheiten immer wieder aussetzen, dann wird es besser», sagt Jordan. Dabei ist es aber wichtig, dass diese Konfrontation von Erfolgserlebnissen geprägt wird. Wer sich einer Unsicherheit stellt und dann verliert, bekommt nur noch mehr Angst. Mitarbeitende müssen deshalb, die nötigen Ressourcen – z. B. in Form von Finanzen, Zeit etc. – erhalten, um unsichere Situation gut zu meistern. «Im besten Fall, werden Unsicherheiten nicht mehr als Bedrohung, sondern als Möglichkeit wahrgenommen», sagt Jordan.

Überlegt und kontrolliert Herausforderungen meistern

Wer sich Dani Arnold als Exzentriker vorstellt, der mit dem Kopf durch die Wand geht und so Rekorde bricht, liegt falsch. Alles, was er tut, ist sehr durchdacht, kontrolliert und überlegt. Vermutlich liegt hier auch der Schlüssel zu seinem Erfolg. Eine Eigenschaft, von der sich Führungskräfte in allen Branchen eine Scheibe abschneiden können. «Personen in Leitungsfunktionen sollten auf Unsicherheiten sensibilisiert sein und nicht davon ausgehen, dass sie schon alles wissen. So merken sie auch frühzeitig, wenn Probleme auf sie zukommen», so Minnig. Es geht nicht darum, kopflos Risiken einzugehen, Unsicherheiten zu ignorieren und sich immer an seine Grenzen zu bringen. Im Gegenteil – am besten fährt man durch ungewisse Zeiten, indem man selbstbewusst auf eine Situation zugeht, dabei aber gut plant, sich Ressourcen freihält und sich seine eigenen Grenzen ehrlich eingesteht.