Einer der wertvollsten Tipps, die Christian Graf im Leben erhalten hat, war: «Verlass die Schweiz und geh hinaus in die Welt. Mach einen Reality-Check, dann schätzt du wieder mehr, was wir hier haben.» Der Ratschlag kam von seinen Eltern. Sie hatten selbst über zehn Jahre im Ausland verbracht und lebten Christian Graf und seinen beiden Schwestern vor, wie wichtig das Sprachen- lernen und der Blick über den Tellerrand ist. Erst bei seinem ersten Sprachaufenthalt in England wurde Christian Graf so richtig bewusst, dass Sprachenlernen mehr ist als reines Übersetzen: Vielmehr bedeutet es ein Verständnis für die Sprache – und die fremde Kultur.
Nach seiner kaufmännischen Lehre bei einer Grossbank sammelte Graf erste Berufserfahrungen in der Branche. «Es waren tolle Jahre, aber ich merkte, dass mich die Bereiche Dienstleistungen und Tourismus viel mehr interessierten», blickt er zurück. An der Höheren Fachschule für Tourismus in Samedan, der Academia Engiadina, liess er sich zum Tourismusfachmann ausbilden und trat seine erste Position als Sprachreiseberater bei Boa Lingua an. Dort stieg er das Karrieretreppchen zügig hoch: Nach ein paar Jahren wurde er zum Stellvertreter der Filialleitung in Zürich befördert, später stieg er zum Filialleiter und Head of Operations auf. 2017 übernahm der heute 39-Jährige die Geschäftsführung von Boa Lingua.
Führungsprogramm an der HSG
Trotz der intensiven beruflichen Auslastung verlor er das Thema Weiterbildung nie aus den Augen, im Gegenteil: Weiterbildung ist für ihn wichtig, um den Horizont zu öffnen, sich weiterzuentwickeln und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ein einjähriges Führungsprogramm an der Universität St. Gallen verlieh ihm das nötige Führungsrüstzeug und einen ersten Eindruck von einer Weiterbildung in englischer Sprache. Die Unterrichtssprache Englisch war neben dem guten Ranking und den Teilzeitmodulen eines der Kriterien, als es darum ging, ein Executive-MBA-Programm auszuwählen. Es ist Christian Graf wichtig, «auch in sprachlicher Hinsicht herausgefordert zu werden».
Den «Economist» lesen und verstehen
Doch warum überhaupt einen EMBA? Christian Graf: «Die ganzheitliche Businessausbildung gibt auf einem hohen Niveau genau die Tools, die es braucht, um ein Unternehmen zu führen. Im Finanzbereich etwa die Fähigkeit, Bilanzen und
Spannend findet er es, betriebswirtschaftlichem Wissen volkswirtschaftlichen Kontext zu geben.
Erfolgsrechnungen zu interpretieren.» Graf profitiert davon, in der kaufmännischen Grundausbildung bereits die Basis gelegt bekommen zu haben. «Im EMBA sind wir bereits auf einem bestimmten Level eingestiegen und schnell vorwärtsgegangen. Wenn man kein Vorwissen mitbringt, hat man jeweils mit Lernen gut gefüllte Wochenende», bilanziert Graf. Bei den Fächern wie Volkswirtschaft und Finance musste er etwas mehr Zeit investieren als bei den Fächern Leadership oder Marketing. Besonders spannend findet er es, das betriebswirtschaftliche Wissen auch in einen volkswirtschaftlichen Kontext zu stellen. «Meine Nagelprobe ist es, Artikel im ‹Economist› lesen und fachlich verstehen zu können. Nach einem halben Jahr war ich so weit.» Eine echte Motivation ist für Christian Graf das A und das O einer Weiterbildung: «Wer einen Executive MBA aus einem anderen Grund als dem eigenen intrinsischen Antrieb und echtem Interesse wählt, etwa nur wegen der Karriere oder wegen des Abschlusses, wird es schwer haben.»
Das Lernen empfindet er durchaus als lustvoll und das Ergebnis aus dem Lernen erst recht. Etwa wenn er einen Wirtschaftsartikel in seiner ganzen Tiefe verstehen kann, wenn ihm ökonomische Zusammenhänge klar werden oder er zwischen Wissen, Halbwissen und Meinungen unterscheiden kann. «Im Beruf und im Privatleben bessere und besser informierte Entscheidungen treffen» – diesen Vorsatz hatte Christian Graf für sein EMBA-Studium formuliert. Bereits jetzt erntet er die Wissensfrüchte, etwa wenn er dem CFO von Boa Lingua auf höherem Niveau gezielter Fragen stellen kann. Oder wenn er im Hypothekargespräch oder an der Börse bessere Ergebnisse erzielt, weil er versteht, wie das Hypothekargeschäft und der Kapitalmarkt funktionieren.
Zeitmanagement ist entscheidend
Der CEO und Teilzeitstudent liebt seine Arbeit und freut sich, schon jetzt und in Zukunft sein neues Wissen in seiner Position als Geschäftsführer einfliessen zu lassen. Anwendung findet das Know-how bei ganz konkreten Themen und Herausforderungen des höheren Managements wie zum Beispiel dem digitalen Wandel. Oder bei der Rekrutierung von passenden Talenten, die nicht nur fachlich, sondern auch menschlich zum Unternehmen passen. Christian Graf: «Es geht um die konkrete Frage: An welchen Orten benötigen wir welche Fähigkeiten und durch welche Spezialisten am Markt werden sie abgedeckt?»
Noch steckt er mitten im Weiterbildungsprogramm, das höchste Kompetenz im Zeitmanagement voraussetzt: Jede zweite Woche verbringt er zwei Tage am Rochester-Bern-Campus am Thunersee, im letzten Jahr verbrachte die Klasse vier Wochen an der Universität Rochester (USA) und im kommenden April eine Woche in der von Rochester-Bern Executive Programs durchgeführten Innovationswoche in Schanghai. Wer, wie in einem EMBA üblich, zu 100 Prozent erwerbstätig ist, sollte sich gemäss Graf schon früh im Klaren darüber sein, bei welchen Themen im Leben die zeitlichen Prioritäten liegen und wo man Abstriche machen möchte.
Sein Fazit ist: Man macht weniger Weekendtrips und geht weniger spontan in den Ausgang, weil schlicht die Zeit dazu fehlt. Statt abends ins Fitnessstudio geht er nun früh joggen – und er freut sich schon jetzt darauf, nach dieser Phase wieder mehr Zeit für Freunde oder Reisen zu haben.
Ein MBA ist ein Geschenk an sich selber
Wenn man die Phase der Weiterbildung auf diese Weise bereits im Vorfeld genau plane und mit Disziplin durchziehe, könne man es auch geniessen. Christian Graf sieht das EMBA als Investition in sich selber, ein Geschenk, das man sich selber macht.
«In meinem Fall funktioniert es, denn ich habe eine sehr gute, sehr lehrreiche Zeit mit einer steilen Lernkurve. Man schafft sich Freiheit durch Disziplin.»