«Ohne den Ukraine-Krieg würden wir Hochkonjunktur prognostizieren»

Ukraine
Der Ukraine-Krieg ist in erster Linie eine humanitäre Katastrophe, hat aber auch Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Aymo Brunetti ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern und unterrichtet im Executive EMBA von Rochester-Bern. Er erklärt, weshalb die Folgen aktuell noch relativ gering sind, sich dies aber schnell ändern könnte.

Seit drei Wochen erschüttert der Ukraine-Krieg ganz Europa. Auf wirtschaftlicher Ebene sind die ersten Konsequenzen bereits in der Schweiz spürbar, aber noch lange nicht mit dem Ausmass der Corona-Krise vergleichbar.

Grosse Unsicherheit

Je nachdem, wie sich der Konflikt entwickelt, sind auch die Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft ganz anders. «Die Unsicherheit ist gewaltig», sagt Brunetti. Es könne sein, dass der Krieg in einer Woche zu Ende sei oder jahrelang weitergehe. Entscheidend sei natürlich auch, ob der Konflikt sich weiterhin auf die Regionen Ukraine und Russland beschränke oder ob er sich ausweitet.

Die Rolle von Russland und der Ukraine im Schweizer Aussenhandel ist gering. Gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung fallen nur rund 1.2 Prozent des Schweizer Exportvolumens auf Russland und sogar nur 0.2 Prozent auf die Ukraine. Auch bei den Importen ist die Rolle der beiden Länder mit jeweils 0.1 Prozent marginal. «Für jene Schweizer Unternehmen, die direkt mit der Ukraine oder Russland zu tun haben, ist der Krieg natürlich verheerend. Der direkte makroökonomische Effekt bleibt aber minimal», so Brunetti.

Steigende Gas- und Erdöldpreise

In Deutschland kommt über die Hälfte des Gases aus Russland und 2019 war rund ein Viertel des europäischen Erdöls russischer Herkunft. Dies nur zwei Zahlen, die verdeutlichen sollen, wie gross die europäische Abhängigkeit vom russischen Gas und Öl ist. In der Schweiz spielt Gas mit 15 Prozent des Energieversorgung zwar nicht die zentrale, aber eine durchaus wichtige Rolle. Von diesen Gasimporten stammen 47 Prozent von Russland. «Bereits jetzt spüren die Schweizerinnen und Schweizer die höheren Erdölpreise. Richtig problematisch für die konjunkturelle Entwicklung ist es aber nicht», sagt Brunetti.

Kritisch würde es insbesondere dann, wenn die Sanktionen erweitert würden. «Sobald Europa entscheidet, kein Gas und Öl mehr von Russland zu nehmen, dann würden die Preise nochmals extrem steigen», so Brunetti. Deutschland könnte in eine Rezession fallen und die Schweiz würde dann wahrscheinlich mit nach unten gezogen.

Die Inflation und der starke Schweizer Franken

Durch die Erhöhung der Erdölpreise wird auch die Inflation angeheizt. In der Schweiz ist die Teuerung im Vergleich zum Ausland allerdings noch moderat. Gemäss Brunetti könnte sich die Situation aber akzentuieren, falls der Krieg sich ausweitet, länger dauert und/oder die Sanktionen härter werden. Wir könnten in eine Stagflation (Stillstand des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Geldentwertung) rutschen.

In den letzten Jahren hat die Schweizer Export-Wirtschaft immer wieder unter dem starken Schweizer Franken gelitten. «Der starke Franken ist aktuell aber weniger ein Problem, als in gewisser Hinsicht ein Segen», so Brunetti. Der robuste Franken sei ein willkommener Schutz gegen die Inflation aus dem Ausland. Erst wenn der Schweizer Franken abrupt weiter fallen würde, wären stark negative Auswirkungen auf den Export zu erwarten.

Der Ukraine-Krieg versus das Ende der Pandemie

Gemäss Brunetti existieren aktuell zwei entgegengesetzte, makroökonomisch relevante Effekte: das Ende der Pandemie und der Ukraine-Krieg. Der Konsum sei während der Corona-Pandemie stark zurückgehalten worden und hole jetzt wieder auf. Der Krieg hat diesen Effekt etwas gebremst. «Ohne den Ukraine-Krieg würden wir Hochkonjunktur prognostizieren», so Brunetti.

Aktuell überwiege aber der positive Effekt und ein Einbruch sei nicht absehbar – erneut unter der Voraussetzung, dass sich die Situation nicht verschlimmere. Falls der Ukraine-Krieg schnell zu Ende gehe, könnten wir mit einem weiter anhaltenden Aufschwung rechnen.

Fazit: Alles ist möglich

Bleibt der Konflikt auf die Regionen Ukraine und Russland begrenzt und die Sanktionen werden nicht ausgeweitet, dann sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die gesamte Schweizer Wirtschaft relative gering. Bei einer Verschlimmerung der Situation, müssen Schweizer Unternehmen aber mit sehr hohen Erdölpreisen, einer Stagflation und einem erneuten Rückgang des Konsums rechnen. Es ist zwar bei weitem nicht der wichtigste Aspekt, aber wir haben auch aus Sicht der Schweizer Wirtschaftsentwicklung, Grund zu hoffen, dass dieser Krieg möglichst bald ein Ende nimmt.