Weg von der Routine, hin zu Nicht-Routine-Aufgaben – agieren und gestalten statt reagieren – mehr Kreativität in der Arbeitswelt – den Mitarbeitenden Freiräume geben, die sie mit Eigeninitiative und innovativen Ideen füllen können – Arbeitsmotivation und emotionale Bindung… Haben auch Sie sich schon überlegt, wie Sie eine solche Realität in Ihrem Unternehmen kreieren können? Der Schlüssel heisst «New Work», der Begriff steht für radikal veränderte Arbeitswelten, in denen eine neue Kultur des Arbeitens entsteht. Aber muss man sich heute für New Work entscheiden? Passt das Konzept überhaupt zu KMU? Und wo fängt man an, wenn man implementieren möchte? – Einige Antworten.
Warum New Work?
«Niemand muss New Work anwenden», sagt Marc K. Peter, Leiter des Kompetenzzentrums Digitale Transformation an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Dozent bei Rochester-Bern Executive Programs. «Wenn Sie in einem Marktumfeld agieren, in dem Sie immer gute Mitarbeitende finden, die Kundinnen und Kunden nicht über digitale Kanäle kommunizieren wollen und Sie regelmässig gute Produkte auf den Markt bringen, dann besteht dieser Druck nicht», fügt er hinzu.
Die Realität ist allerdings, dass ein solches Marktumfeld heute kaum noch existiert: Gute Mitarbeitende wollen in agilen Teams arbeiten, die Kundschaft ärgert sich, wenn Sie nicht über digitale Kanäle erreichbar sind, und die neuen Technologien drängen sich inzwischen fast schon allen auf. Dies bestätigt Tatjana Zbinden, Chief Human Resources Officer bei isolutions und Absolventin der Weiterbildung CAS Verwaltungsrat bei Rochester-Bern: «Der Anspruch, flexibel arbeiten zu wollen, ist in der Pandemie sogar noch gestiegen.»
Es ist also sinnvoll, wenn sich KMU mit dem Konzept New Work auseinandersetzen. Ziel von New Work – auch Arbeitswelt 4.0 genannt – sei es, so Peter, proaktiv und gemeinsam mit den Mitarbeitenden das Potenzial der neuen Technologien auszuschöpfen, um so die Unternehmensziele zu erreichen. Klingt kompliziert, ist es aber nicht, versichert Peter, und nennt die Erfolgsfaktoren.
Die drei Erfolgsfaktoren
Arbeitswelt 4.0 bedeutet nicht, dass Unternehmen alles, was sie bisher gelernt haben, über den Haufen werfen müssen. Im Gegenteil: «Unternehmen, die zu aggressiv vorgehen, scheitern oft. Besser ist es, sich Schritt für Schritt an das Thema heranzutasten», so Peter. Barbara Josef, Co-Founder der 5to9 AG, welche Organisationen auf dem Weg in neue Arbeitswelten begleitet, ist gleicher Meinung. Sie sagt, es sei sogar gefährlich, wenn man sich verstelle und seine Wurzeln vergesse. New Work solle authentisch gestaltet werden. Bei jeder Veränderung müsse man sich zuerst fragen: Was passt zu uns und was ist der Nutzen?
Auch KMU mit begrenzten Ressourcen können aufatmen: Viele neue Technologien seien nämlich kostengünstig. Hinzu komme, dass kleine Unternehmen von flexibleren Strukturen profitierten, die eine Modernisierung erleichtern würden, erklärt Peter. «Für KMU sind Veränderungen sogar einfacher umsetzbar, schon deshalb, weil die Population kleiner ist», sagt auch Zbinden. Es gibt also keine Ausreden; alle Unternehmen können New Work anwenden, wenn sie nur wollen.
Als Dozent beobachtet Peter, dass sich viele Unternehmen aktuell mitten in einem Prozess des Wandels befinden und dabei sind, New Work anzuwenden. Zudem habe die Pandemie die Nachfrage nach dem Thema noch zusätzlich vorangetrieben. «Und trotzdem hinken die Firmen hinterher», sagt er. In seinem Unterricht übermittelt er deshalb einfache Methoden, wie KMU das Thema angehen können.
Eine dieser Methoden besteht darin, das Thema New Work basierend auf drei Pfeilern zu betrachten: Menschen, Arbeitsumfeld und Technologien. Idealerweise würden sich KMU proaktiv mit allen dreien befassen und sich folgende Fragen pro Pfeiler stellen:
(1) Menschen – Welcher Führungsstil holt das Beste aus meinen Mitarbeitenden heraus und fügt sich gut in die Unternehmensstrategie ein? Welche Informationen brauchen sie und über welche Kanäle?
(2) Arbeitsumfeld – Wo möchten wir arbeiten und mit welchen Programmen? Brauchen wir eine Plattform, auf der wir uns treffen? Welche Arbeiten können wir von überall auf der Welt ausführen und für welche benötigen wir ein Büro mit Infrastruktur?
(3) Technologien – Welche Technologien gibt es? Welche davon können wir implementieren, sind zahlbar und effizienzsteigernd?
Diese Fragen sollten gemäss Peter an Workshops mit den Mitarbeitenden gemeinsam besprochen werden. Die daraus resultierenden Ideen würden festgehalten und anschliessend überprüft, ob sie mit der Unternehmensstrategie übereinstimmen. Ist dies der Fall, dann sollten die Ergebnisse innerhalb der folgenden sechs bis sieben Monate umgesetzt werden.
Dies ist nur eine von vielen Methoden. Sie ist einfach und für jedes KMU umsetzbar. Natürlich gehen die einzelnen Themen Mensch, Umfeld und Technologie viel weiter und bringen einige Herausforderungen mit sich. Die folgenden Abschnitte bieten einen Vorgeschmack.
Faktor Mensch: Mitarbeitende miteinbeziehen
Die Mitarbeitenden spielen bei New Work eine entscheidende Rolle. Gemäss Peter sollte New Work von der Führung angestossen und anschliessend von den Mitarbeitenden diskutiert, ausgehandelt und mitgetragen werden. Josef formuliert es wie folgt: «Das Why kommt von der Leitung, das What and How muss von den Mitarbeitenden mitgestaltet werden. Sind die Mitarbeitenden involviert, führt dies zu besseren Lösungen und mehr Akzeptanz.»
Zbinden geht noch einen Schritt weiter und spricht in diesem Zusammenhang von Employee Experience: «Unternehmen müssen den Mitarbeitenden ein Erlebnis bieten, zum Beispiel durch schöne Büroräume, Anlässe oder attraktive Austauschzonen. Dadurch kommen die Leute gerne zur Arbeit und Unternehmen bleiben attraktiv. Gerade junge Arbeitnehmende erwarten dies.»
Ein weiteres Thema ist Work-Life-Blending. «Früher ging es um den Ausgleich zwischen Freizeit und Arbeit (Work-Life-Balance). Neu können die beiden gar nicht mehr getrennt werden und wir sprechen von Work-Life-Blending», erklärt Peter. Diese neue Realität sollten Unternehmen in ihre Kultur integrieren. «Ein Familienvater macht zwischen vier und fünf Uhr eine Pause, weil er seine Tochter abholt. Dafür arbeitet er am Abend nochmals. Solche Situationen sollten normalisiert werden.»
Faktor Umfeld: funktioniert Home-Office?
Auch hier gelte: Proaktiv angehen, zuhören und diskutieren. Teils können die Ergebnisse überraschend einfach sein. Gemäss Peter hat eine Studie gezeigt, dass für Mitarbeitende die beiden wichtigsten Bereiche im Büro die Begegnungs- und Verpflegungszonen seien. Dies sei ihnen mehr wert als der eigene Arbeitsplatz.
Während der Corona-Pandemie wurde das Thema Home-Office heiss diskutiert. Peter stellt klar, «Studien zeigen, dass Home-Office funktioniert». Es gebe nur wenige Aufgaben, wie zum Beispiel das gemeinsame Erarbeiten eines Themas im Team, die im Büro effizienter erledigt würden. Diese Aussage wird auch von Zbinden bestätigt: «Forschungsresultate belegen, dass die Produktivität nicht leidet. Im Gegenteil, sie wird als höher oder gleich hoch erachtet. Was hingegen leiden könnte, ist der Teamzusammenhalt und die kreativen Prozesse.»
Auch Josef bekräftigt, dass Home-Office sich in den letzten zwei Jahren positiv auf die Produktivität ausgewirkt habe, und führt dies darauf zurück, dass Arbeitnehmende zu Hause weniger unterbrochen würden. Sie betont aber auch die kritischen Seiten: «Zu sagen, die Produktivität ist gestiegen und deshalb wird nicht weiter hinterfragt, wäre zu kurz gegriffen. Die Schweiz ist Hochlohnland, weil es hier viele Berufe gibt, die hohe Denkleistungen und Innovation voraussetzen. Alles Aufgaben, die interdisziplinär stattfinden und genau jene Bereiche betreffen, die unter Home-Office leiden können. Dies ist gefährlich.»
Faktor Technologie: unausweichlicher Wandel
«Die Technologie ist der wichtigste Treiber von New Work», sagt Peter. Dies hänge damit zusammen, dass Technologien sich ungefragt ständig weiterentwickeln würden. Schliesslich sei es schwierig, eine besser Alternative zur aktuellen Arbeitsweise einfach zu ignorieren. «Die neuen Technologien sind nicht einfach ein Trend, sondern sie sind gekommen, um zu bleiben und verändern sich laufend», so Zbinden.
Hinzu komme, dass Technologien auch einen Druck von aussen mit sich brächten: «Wenn Kunden/-innen, Partnerfirmen oder andere Kontaktpersonen eine Technologie nutzen, dann wird ein Unternehmen teils fast gezwungen, sich diese auch anzueignen», meint Peter. Natürlich seien gewisse Technologien auch einfach kostengünstiger und effizienter und setzten sich deshalb durch.
Josef betont, dass deshalb auch beim Faktor Technologie ein Herantasten sinnvoll sei: «Testen Sie Technologien im Kleinen, zum Beispiel nur in einer Abteilung und schauen Sie, welchen Nutzen Sie davontragen. Gehen Sie explorativ vor, bevor Sie grössere Investitionen tätigen.» Am Schluss sind sich aber alle einig, dass KMU nicht darum herumkommen, sich mit den neuen Technologien auseinanderzusetzen.
New Work: Eine Chance für KMU
New Work kann bedrohlich wirken, bietet aber gerade KMU viele Möglichkeiten. Wichtig ist, dass nicht ganze Konzepte einfach blind aufgezwungen werden, sondern dass die Auseinandersetzung mit New Work ein dynamischer und integrativer Prozess ist. Am besten gehen Unternehmen das Thema neugierig an und probieren Verschiedenes aus. «Vergessen Sie den sperrigen Begriff New Work und fragen Sie sich einfach, wie Sie die Arbeit und Zusammenarbeit in Ihrem Unternehmen laufend verbessern können», so Josef. Kurse und Weiterbildungen, wie jene von Rochester-Bern, könnten Unternehmen helfen, die für sie optimale New Work Lösung zu finden.
Über den Artikel
Dieser Artikel ist auch im KMU-Magazin vom April/Mai 2022 erschienen und wurde von Amélie Lustenberger, Communication Manager bei Rochester-Bern verfasst.