Wir haben gelernt, auf bestimmte Merkmale zu achten, um unser Gegenüber schnell einschätzen zu können. Dieser Vorgang im Gehirn ist notwendig, damit wir uns zurechtfinden. Stereotypen bilden dabei Überzeugungen, dass bestimmte Eigenschaften charakteristisch für eine konkrete Menschengruppe sind. Sie können wahr oder falsch, positiv oder negativ sein – Stereotypen sind meist kulturell geprägt und entstehen nicht zwingend aus einem bestimmten Verhalten. Sie bestimmen die Einstellung zu Gruppen und die Rollenerwartungen an einzelne Personen. Das Problem hierbei ist, dass sich negative Stereotypen schnell im Gehirn verankern und zu Vorurteilen führen können. Zusätzlich wird, beispielsweise bei geschlechtszugeordneten Klischees, das betroffene Merkmal dem anderen Geschlecht meist vollumfänglich abgesprochen. Beispiel: Gelten Männer als stark und zielsicher, so sind Frauen das nicht. Schwierig wird es dann, wenn Vorurteile zu diskriminierendem Verhalten führen. Hat ein volltätowierter, muskulöser Mann dieselben Chancen im Bewerbungsprozess wie ein schlanker Mann mit Brille, oder wird er trotz ausgeprägter Kompetenzen mit negativen Vorurteilen behaftet und allenfalls gar nicht erst zu einem Gespräch eingeladen? Die meisten von uns glauben, nicht vorurteilsbehaftet zu sein. Beantworten Sie folgende Frage: Wie nennt man in unserer Gesellschaft eine Frau mit Kopftuch, die ein Flugzeug fliegt? Die Antwort finden Sie am Schluss des Beitrags.
Gleiche Chancen für alle – aber wie?
Es gibt unterschiedliche Methoden, um Vorurteile und Diskriminierungen aus Stereotypen zu verhindern. Bei Bewerbungen zum Beispiel werden teils Fotos und Namen geschwärzt, um unvoreingenommen eine erste Auswahl treffen zu können. So kann sichergestellt werden, dass der Hauptfokus auf den Fähigkeiten liegt und wir nicht von Ethnie, Geschlecht oder Aussehen beeinflusst werden. Natürlich wird das spätestens dann schwierig, wenn einem die Person im Vorstellungsgespräch gegenübersitzt. Prof. Dr. Fabiola Gerpott setzt sich stark mit Diversität und Inklusion auseinander. Sie empfiehlt, Menschen nicht in Schubladen zu stecken und erklärt, dass das Individuum nicht verloren gehen darf. Viele Personen haben Dinge gemeinsam, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Versuchen Sie, diese Gemeinsamkeiten zu entdecken, ohne sich von den ersten äusserlichen Eindrücken ablenken zu lassen. Die Frau mit dem Kopftuch und der volltätowierte Mann haben vielleicht beide schon einmal um jemanden getrauert oder haben beide Katzen als Lieblingstier. Diversität umfasst viel mehr als Oberflächlichkeiten wie Alter, Geschlecht und Aussehen. Achten Sie auf die Persönlichkeit, Werte oder Einstellungen. Sie werden merken, dass Sie mit vielen Menschen Gemeinsamkeiten haben.
Was kann ich konkret tun, um mehr Platz für Diversität und Inklusion zu schaffen?
Seien Sie selbst offen. Gehen Sie auf andere Menschen zu und stellen Sie Fragen. Sie essen am Arbeitsplatz über Mittag immer mit den gleichen Personen? Setzen Sie sich doch einmal an einen anderen Tisch und beginnen ein Gespräch. Wir alle sind divers und können etwas voneinander lernen.
Denken Sie positiv. Legen Sie bei Gesprächen zum Thema Diversität den Fokus auf dessen Mehrwert und nicht auf die Herausforderungen. Zwar führt das Hervorheben des Mehrwerts laut Dr. Fabiola Gerpott bei anderen Menschen nicht automatisch zu einem stärkeren Einsatz für Diversität, das Hervorheben der Schwierigkeiten führt jedoch dazu, dass Personen in ihren Vorurteilen oder Ängsten bestärkt werden und Diversität als noch grösseres Problem erscheint.
Werden Sie sich Ihrer Privilegien bewusst. Haben Sie ein warmes Zuhause und Zugang zu Elektrizität und Wasser? Wurde Ihnen dank Ihrer Eltern eine gute Ausbildung ermöglicht? Haben Sie ein Wahlrecht? Können Sie sich auf ihre Familie verlassen? Haben Sie ein sicheres Einkommen? Denken Sie daran, dass nicht alle Menschen dieselbe Ausgangslage haben und seien Sie nachsichtiger im Umgang mit anderen.
Hören Sie zu. Möchten Sie jemanden unterstützen oder jemandem helfen, von dem Sie denken, dass er oder sie benachteiligt ist? Fragen Sie zuerst, ob und wie Sie die Person unterstützen können. Vielleicht möchte die Person mit Gehbehinderung nicht, dass ihr Rollstuhl gestossen wird. Vielleicht ist sie in diesem Moment aber auch froh darüber.
Für eine erfolgreiche Integration von benachteiligten Personen gilt grundsätzlich: Sprechen Sie mit den Betroffenen anstatt über sie. Lassen Sie sie mitreden und mitentscheiden.
Die Frau mit Kopftuch, die ein Flugzeug fliegt, nennt man übrigens Pilotin. Haben Sie bei der Beantwortung gezögert oder kurz überlegen müssen? Der Moment des Innehaltens deutet auf vorurteilsbehaftetes Verhalten hin.