KI als Game-Changer? Auswirkungen auf Unternehmen und die Gesellschaft

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In nur 45 Minuten hat Marc K. Peter, inhaltlicher Leiter des Studiengangs CAS Digital Acceleration & AI bei Rochester-Bern, während eines Mittagstalks die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz (KI) auf Firmen und Menschen erläutert. Die wichtigsten Inputs und auch, was nach der KI kommt, fasst dieser Beitrag zusammen.

Digitale Transformation und KI

Geschichtlich gesehen zählen wir fünf industrielle Revolutionen. Die erste ist die Mechanisierung und die zweite die Massenproduktion. Die letzten drei finden alle aktuell parallel statt: Die Automatisierung, die Digitalisierung / digitale Transformation sowie die Symbiose von Menschen und Maschinen mittels KI (siehe Abbildung). Dies stellt Unternehmen vor grosse Herausforderungen, aber bietet auch viele Opportunitäten. Damit Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, sollten sie sich der digitalen Transformation und dem Thema KI annehmen. Währenddem die Digitalisierung die Automation der Arbeit und Prozesse mit neuen Technologien beschreibt, fokussiert die digitale Transformation auf eine ganzheitliche Erneuerung des Unternehmens, um Kundenerlebnisse, Geschäftsmodelle und betriebliche Prozesse den Marktanforderungen anzupassen. Die digitale Transformation umfasst 7 Handlungsfelder: Kundenfokus, neue Technologien, Daten und die Cloud, neue Strategien, digitale Führung und Kultur, Prozessmanagement und digitales Marketing. Künstliche Intelligenz aus dem Handlungsfeld der Technologien ist die Fähigkeit, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren. Sie setzt vor allem eine gute Handhabung der Daten und mathematische Modelle voraus. Zusammenfassend besteht die digitale Formel gemäss Marc K. Peter aus der Erkennung der sich verändernden Kundenanforderungen, den neuen digitalen Technologien und der strategischen Nutzung von Daten, um neue digitale Leistungen und Strategien zu entwickeln.

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Die fünf industriellen Revolutionen mit KI im Kern der fünften Transformationswelle (Quelle: Marc K. Peter, https://the-digital-transformation-canvas.com/).

Der Hintergrund von KI

Die Idee, unsere Welt digital abzubilden und Computer „intelligent“ zu machen, besteht schon lange. Viel Vorarbeit und viele Vordenker/-innen haben es ermöglicht, dass wir heute die konzeptionelle Vorarbeit umsetzen können. So hat Alan Turing bereits 1950 das Konzept eines digitalen Computers, der lernt, beschrieben und somit den Grundstein für die KI gelegt. Auch die Bedenken, dass Maschinen ausser Kontrolle geraten und den Menschen überwältigen, ist relativ alt. Isaac Asimov hat 1942 die drei Robotergesetze entwickelt, die dafür sorgen sollen, dass sich Maschinen nicht gegen den Menschen richten. Sie lauten:

  1. Ein Roboter darf einem menschlichen Wesen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.
  2. Ein Roboter muss den Befehlen gehorchen, die ihm von Menschen erteilt werden, es sei denn, dies würde gegen das erste Gebot verstossen.
  3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange solch ein Schutz nicht gegen das erste oder zweite Gebot verstösst.

Um die Thematik besser zu verstehen, lohnt es sich auch die Begriffe KI, Machine Learning (ML) und Deep Learning (DL) zu unterscheiden: KI ist der Überbegriff, welcher gemäss neuem EU-Gesetz zur KI (EU AI Act) alle softwarebasierenden Technologien umfasst, welche ML-Techniken, Logik, Statistik und/oder Wissenssysteme beinhalten. Bei ML geht es darum, eine Software bzw. Maschine mittels Regeln/Algorithmen (ein Beispiel sind einfache Spam-Filter für E-Mails) zu steuern, währenddem bei DL die Maschine anhand künstlicher neuronaler Netze selbst lernen und sich optimieren kann (ein Beispiel ist der Spamfilter, der mit der Zeit lernt, welche E-Mail in den Junk gehören, wenn «Spam» vom User angeklickt wird).

Ebenfalls spannend im Zusammenhang mit dem neuen EU-Gesetz ist der Begriff «General Purpose Artificial Intelligence» (GPAI). Die meisten Anwendungen der KI sind für eine spezifische Aufgabe konzipiert. Es gibt jedoch viele Szenarien, die eine allgemeinere KI (sprich Logik/Algorithmen) erfordern, die in der Lage ist, eine breite Palette von Aufgaben zu lösen, ohne dass sie das Label «KI» beinhaltet. Der Begriff General Purpose Artificial Intelligence bezeichnet solche Technologien, welche KI beinhalten.

Large Language Models

Viel zu reden geben aktuell die Large Language Models (LLMs) als Grundlage von generativer KI (basierend auf Deep Learning), welche Tools wie ChatGPT hervorgebracht haben. Sie imitieren das menschliche Gehirn und laufen mittels neuronaler Netzwerke, welche die Anfragen und Antworten durch mehrere Knoten (Layers) laufen lassen. Neben ChatGPT gibt es zahlreiche weitere generative KI-Tools, wie Claude 2 von Anthropic, character.ai, Gemini, Quillbot, Hotpot und LIama, um nur einige zu nennen. Die Landschaft ist riesig und bietet Unternehmen spannende Optionen in den Bereichen Marketing, E-Commerce, Vertrieb und Administration.

Chancen und Herausforderungen

Die Möglichkeiten, welche durch KI entstehen, sind fast endlos. Überall dort, wo Daten vorhanden sind, kann KI potenziell eingesetzt werden. Beispiele sind die Automatisierung von Geschäftsprozessen, die Steuerung und Optimierung von Industrieanlagen, proaktive Kundenbetreuung, personalisierte Marketing-Kampagnen, erweiterte Datenanalyse, Vorhersage von Trends und Entwicklungen oder Risikobewertung und -management. Um als Beispiel eine konkrete Anwendung zu nennen: Spacevoice bietet Unternehmen ein KI-System an, welches Kundenanrufe entgegennimmt (oder ausführt), wie eine echte Person klingt und das Kundenanliegen lösen kann. Somit birgt das Tool das Potenzial, den ganzen Verkaufs- und Beratungsbereich eines Unternehmens zu digitalisieren.

Gleichzeitig gibt es durch KI auch Risiken für Unternehmen. Dazu gehören in der generativen KI beispielsweise Reputationsrisiken wie falsche oder unangebrachte Antworten von Chatbots – oder sogar das Verraten von Geschäftsgeheimnissen oder Ausführen von Bestellungen zu falschen Konditionen. Im Februar 2024 gab es einen Gerichtsentscheid zu einem Kundenfall der Air Canada zu diesem Thema: Ein KI-basierter Chatbot des Unternehmens hat einem Kunden eine Rückerstattung versprochen, obwohl diese gemäss der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht vorgesehen war. Das Gericht hat entschieden, dass die Airline diese erstatten muss, da Air Canada für den Bot verantwortlich ist. Aktuell herrscht in diesem Bereich noch viel Unklarheit, doch erste Regulationen sind in Arbeit. So treten auch noch im Verlauf dieses Jahres erste Regeln des vorher erwähnten «EU AI Acts» in Kraft.

Bedeutung für Unternehmen

Was bedeuten diese Entwicklungen für Unternehmen? Einerseits, dass sie das Thema konzeptionell und strategisch pro-aktiv angehen müssen. KI gehört auf die Traktandenliste von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Zudem benötigen Unternehmen digitale Kompetenzen, um mit KI zu arbeiten – Mitarbeitende, die offen für neue Technologien sind und sich in den Themenfeldern der KI auskennen. Es benötigt auch eine gute Governance (zum Beispiel, um rechtliche und ethische Richtlinien zu entwickeln und deren Einhaltung zu überwachen), eine gute technologische Infrastruktur und die Kontrolle über die Daten. Darüber, wie KI-Projekte im Unternehmen organisatorisch geplant und umgesetzt werden können, gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Grundsätzlich unterscheidet sich aber die planerische Umsetzung nicht von anderen IT-Projekten.

Dabei sollte noch erwähnt werden, dass vieles noch Neuland ist: Auch wenn bereits erste Publikationen und Fallstudien existieren, die zeigen, wie Unternehmen erfolgreich mit KI umgehen, bleibt vieles ungewiss. Hinzu kommt, dass die Entwicklungen nicht aufhören. Denn was kommt nach der KI? Gemäss Marc K. Peter ist es die Interoperabilität: Sie ermöglicht es verschiedenen digitalen Technologien und auch dem Menschen, Daten automatisiert und medienbruchfrei auszutauschen. Dies wiederum wird weitere KI-Anwendungen anstossen.

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