«Psychologische Sicherheit ist, wenn Mitarbeitende ihre Ideen und Meinungen äussern können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen», sagt Tatjana Zbinden, Geschäftsführerin Aluan AG sowie Alumna bei Rochester-Bern. Wobei mit negativen Konsequenzen nicht nur klar sichtbare Handlungen wie eine Kündigung gemeint sind, sondern auch vermeintliche Kleinigkeiten wie ein Augenrollen, schlechte Nachrede oder dass die Person künftig nicht mehr zum Feierabendbier eingeladen wird. Auch solche informellen Sanktionen können eine grosse Wirkung haben und dazu führen, dass sich Mitarbeitende nicht mehr engagieren, was für das Unternehmen schädlich ist.
Das Thema psychologische Sicherheit hat in den letzten Jahren einen Hype erlebt. Dabei geht es eigentlich um Grundsätzliches. «Psychologische Sicherheit ist die Basis dafür, dass ein Team überhaupt funktioniert», sagt Zbinden. Denn in einer Kultur der Angst ist es kaum möglich, produktiv zu arbeiten. Viele Unternehmen sind sich dessen bewusst, doch gerade in Branchen, die noch sehr hierarchisch funktionieren, ist noch viel Luft nach oben. Und die neuen Arbeitsformen fördern das Bedürfnis nach psychologischer Sicherheit.
«Mit Flexwork und Remotework wird eine Vertrauenskultur wichtiger», sagt Zbinden. Die Mitarbeitenden handeln autonomer, flexibler und werden weniger vom Arbeitgeber kontrolliert. In diesem Umfeld ist es entscheidend, dass sich die Arbeitgebenden auf die Mitarbeitenden verlassen können und umgekehrt. Auch die Digitalisierung der Arbeitswelt trägt zu dieser Entwicklung bei. «Es ist schwieriger, auf Distanz Vertrauen aufzubauen. Die Menschen sind weniger greifbar und der Austausch ist unpersönlicher.
Zudem wird die Welt immer dynamischer und innovativer «Wer progressiv sein will, muss flexibel sein. Dazu gehört auch, dass die Mitarbeitenden im Unternehmen ausprobieren und ihre Ideen ohne Einschränkungen einbringen können – auch das sind wichtige Aspekte der psychologischen Sicherheit», sagt Zbinden.
«Psychologische Sicherheit wird Ihnen nicht helfen, neue Mitarbeitende zu finden, denn sie wird vorausgesetzt – vor allem von den jüngeren Generationen. Aber sie ist wichtig, um Mitarbeitende nicht zu verlieren», sagt Zbinden. Schliesslich ist sie ein Treiber für Wertschätzung und die Mitarbeitenden fühlen sich mit ihr wohler. Auf verschiedenen Ebenen kann das HR sie fördern:
«HR hat die Aufgabe, eine Kultur des Vertrauens und des Lernens zu schaffen. Dies muss sowohl auf Führungsebene wie auch auf der Prozessebene geschehen. Beispielsweise können Arbeitsprozesse so gestaltet werden, dass Feedbackschleifen eingebaut sind», sagt Zbinden. Bei Feedbackschleifen geht es darum, dass alle aufgefordert sind, konstruktive Rückmeldungen zu geben, und dass die Mitarbeitenden dadurch lernen, sich zu äussern und sinnvolle Verbesserungsvorschläge zu kommunizieren.
Auch Weiterbildungen und andere Personalentwicklungsmassnahmen tragen zur Förderung der psychologischen Sicherheit bei und können vom HR initiiert werden. Führungskräfte und Mitarbeitende werden für das Thema sensibilisiert und lernen, sich selbst besser einzubringen und andere zu motivieren, sich zu äussern.
Ein weiterer Bereich, in dem HR aktiv werden kann, ist die Teamentwicklung: «Die Zusammenarbeit in einem Team sollte nicht selbstverständlich sein. Denn die Mitglieder einer Gruppe können gemeinsam entscheiden, wie sie zusammenarbeiten wollen.», sagt Zbinden. Das HR kann Teams dabei unterstützen
Auch die Auswahl der Mitarbeitenden wirkt sich aus: «Wenn Sie Leute aussuchen, die gut kommunizieren können, die respektvoll Feedback erteilen und auch annehmen können, haben Sie natürlich bessere Chancen, eine Kultur der psychologischen Sicherheit zu schaffen», sagt Zbinden.
Entscheidend ist, dass die Organisation bei Massnahmen für mehr psychologische Sicherheit mitzieht. «Wenn Sie fordern, dass die Mitarbeitenden Fehler offen kommunizieren und gleichzeitig die Führungskräfte negativ darauf reagieren, dann ist dies natürlich kontraproduktiv», sagt Zbinden. Die Organisation sollte halten, was sie verspricht. Aus HR-Sicht bedeutet dies, Schritt für Schritt vorzugehen und sicherzustellen, dass alle mitgenommen werden.
«Es ist immer am einfachsten, die Verantwortung auf die Führungskräfte abzuwälzen. Und natürlich ist es richtig, dass diese grossen Einfluss haben. Ich finde aber, dass auch jeder einzelne Mitarbeitende die Verantwortung trägt zur psychologischen Sicherheit im Unternehmen beizutragen», sagt Zbinden. Mitarbeitende, die mitgestalten wollen, müssten auch den Mut haben, sich einzubringen und sinnvoll zu argumentieren, wenn es kontrovers wird, fügt sie hinzu.
Psychologische Sicherheit wird von allen Personen im Unternehmen mitgestaltet. Dementsprechend kann jede und jeder dazu beitragen, sie zu fördern. Auch das HR wirkt hier mit. Letztlich ist es aber ein Gemeinschaftswerk, bei dem alle an einem Strang ziehen müssen.