Verwaltungsratsmandat Theorie oder Praxis – was ist wichtiger?

Verwaltungsrat Theorie oder Praxis
Der Verwaltungsrat trägt als oberstes Aufsichts- und Gestaltungsorgan der Aktiengesellschaft eine grosse Verantwortung. Deshalb sollten die richtigen Personen in diesem Gremium Einsitz nehmen. Doch was müssen Verwaltungsrät/-innen können und wissen? Und ist Theorie oder Praxis entscheidend?

Rochester-Bern bietet die Weiterbildung «CAS Verwaltungsrat» an und hat die aktuellen Studierenden sowie Peter Baur, Executive Advisor bei CEAT Tyres Limited und Dozent bei Rochester-Bern, gefragt, welches Wissen und welche Kompetenzen ihrer Meinung nach einen guten Verwaltungsrat ausmachen.

Was sollte ein guter Verwaltungsrat bzw. eine gute Verwaltungsrätin mitbringen?

«Sowohl Theorie als auch Praxis sind wichtig», sagt Baur. Eine Ansicht die auch Heinrich Schellenberg, Stv. CEO und VR bei Proseba AG teilt: «Auch wenn man Autofahren kann, sollte man die Verkehrsregeln kennen – deswegen ist die Theorie und Praxis gleichbedeutend wichtig». Laut Baur brauchen Personen für das Mandat einerseits einen Grundrucksack an Kompetenzen und andererseits ein Spezialgebiet, mit dem sie neue Impulse setzen können. Der Grundrucksack sollte Wissen in den Bereichen Recht (Pflichten und Verantwortung), Finanzen und Strategie enthalten.

Das Spezialgebiet wiederum kann sehr vielfältig sein. «Ich kenne einen Militärpiloten und eine Mitarbeiterin von SOS-Kinderdorf, die in einem Verwaltungsrat sitzen. Sie bringen ganz andere Impulse und Ideen ein. Das ist sehr wertvoll, auch wenn sie aus anderen Branchen stammen», erklärt Baur. Er ist der Meinung, dass gerade Branchenfremde viel einbringen können und daher nicht alle Mitglieder eines Verwaltungsrates über Branchenkenntnisse verfügen müssen. Schliesslich gibt es Argumente für und gegen Branchenkenntnisse im Verwaltungsrat.

Branchenkenntnisse vs. Aussensicht

«Allgemeine Branchenkenntnisse sowie Kenntnisse über das Unternehmen sind sehr wichtig», sagt hingegen Philipp Zurwerra, VR bei Raiffeisen Belalp-Simplon. Es kann von Vorteil sein, wenn Personen im Verwaltungsrat wissen, wie es in einer Branche läuft: Wie sieht die Zielgruppe aus? Wie entwickelt sich der Markt? Welche Konkurrenten gibt es? Gleichzeitig argumentiert Baur, dass Expertinnen und Experten in einer Branche auch unter einer gewissen «Betriebsblindheit» leiden. «Um grosse disruptive Veränderungen herbeizuführen, ist ein Blick von aussen hilfreich. Jemand aus einer anderen Branche bringt eher neue Ideen für Prozesse und Vorgehensweisen ein», so Baur.

Gerade in KMU werden häufig drei Rollen in einer Person vereint: Geschäftsführung, Hauptaktionär/-in und Verwaltungsratspräsident/-in. Dadurch hat diese Person einen Informationsvorsprung und dominiert die Diskussion und Entscheidungsfindung. Ein Verwaltungsrat, der hingegen eine externe Sichtweise zulässt, ermöglicht eine Trennung von strategischen und operativen Themen. Schliesslich kann der externe Verwaltungsrat als Sparringpartner bei wichtigen Entscheidungen fungieren.

Charakter, Mut und Unabhängigkeit

Alle Kompetenzen sind wertlos, wenn Mut und Charakter fehlen. «Mut bedeutet zu sagen: ‚Ich verstehe dies nicht‘ oder ‚Hier fehlen mir noch weitere Szenarien’», so Baur. Charakter wiederum sei die Fähigkeit Grenzen zu setzen und klare rote Linien zu haben. Verwaltungsrät/-innen haben die Aufgabe Respektlosigkeiten und Missstände anzusprechen und anzugehen. «Wenn die Nichte ohne rationale Gründe zur Marketingleiterin ernannt wird oder der CEO eine Entscheidung schnell durchpeitscht – das sind Momente, in denen Verwaltungsrät/-innen aufstehen und etwas sagen müssen», sagt Baur.

Praxiserfahrung ist deshalb wichtig, weil sie oft mit mehr Selbstvertrauen und Mut einhergeht. Wer länger im Geschäft ist, kennt die Gruppendynamik besser und weiss, um die Tricks der CEOs. Gleichzeitig sind erfahrenere Personen in ihrer Karriere weiter fortgeschritten und damit auch finanziell unabhängiger. «Erfahrung und Unabhängigkeit sind die wichtigsten Zutaten für ein Verwaltungsratsmandat», sagt Andreas Bernhard, VRP der GFAG Holding AG. Laut Baur sollte das Mandat nicht mehr als ein Drittel des Einkommens ausmachen, damit die Person unabhängig bleibt und sich traut, die Meinung zu sagen.

Die richtige Zusammensetzung

«Der Verwaltungsrat sollte so vielfältig zusammengesetzt sein, dass die relevanten Kompetenzen durch verschiedene Personen abgedeckt sind. So können die gesetzlichen, statutarischen und unternehmerischen Pflichten optimal erfüllt werden», sagt Martin Werthmüller, CEO Spital Uster AG. Grundsätzlich sind sich alle einig, dass mehr Diversität zwar eine Herausforderung ist, aber schlussendlich zu besseren Resultaten führt. «Je vielfältiger, desto anstrengender, desto besser», sagt auch Baur. Wobei Diversität nicht nur das Erfahrungsniveau betrifft, sondern auch andere Aspekte wie Geschlecht, Alter und Herkunft. Einen konkreten Vorschlag macht Hanspeter Gauer, CEO der Polycontact AG. «In einem fünfer Gremium würde ich folgende Zusammensetzung sehen: drei operative, erfahrene und im Kerngeschäft sattelfeste Personen. Und zwei junge, ambitionierte, engagierte und breit interessierte Verwaltungsrät/-innen mit Spezialwissen in zukunftsorientierten Themen wie Digitalisierung oder New Work».

Mindestens genau so bedeutend, wie die Zusammensetzung, ist die Arbeitsweise. «Es bringt nichts einen diversen Verwaltungsrat zu haben, wenn schlussendlich eine oder zwei Personen die Diskussion dominieren und entscheiden», so Baur. «Es kommt vor allem darauf an, dass ein Klima geschaffen wird, in dem der Erfahrungsaustausch stattfindet und weniger auf eine spezifische Zusammensetzung», ergänzt Samuel Bussmann, Partner MME Legal | Tax | Compliance. Stellt sich die Frage, wie eine konstruktive Zusammenarbeit im Verwaltungsrat sichergestellt werden kann?

Tipps und Tricks für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Verwaltungsrat

Ein erster wichtiger Aspekt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ist die rechtzeitige und korrekte Bereitstellung von Informationen. «Mehr Information ist nicht immer besser. Es kann eine Strategie des CEO sein, den Verwaltungsrat mit Informationen zu überschwemmen, so dass wichtige Fakten in der Informationsflut untergehen», so Baur.

Zudem Um die Lücke zwischen neuen, unerfahrenen und langjährigen Verwaltungsrät/-innen zu verkleinern, kann ein Götti-System hilfreich sein, meint Heinrich Schellenberg. Oder neue Verwaltungsrät/-innen könnten in den ersten Jahren die Sekretär-Stellvertretung des Verwaltungsrates übernehmen. Auf diese Weise können sie das Geschäft schneller verstehen und die fehlende Erfahrung aufholen.

Ein weiterer, relativ einfacher Tipp, der gerade von jungen Verwaltungsrät/-innen oft zu wenig genutzt wird, ist die Absprache. «Rufen Sie an, fragen Sie nach, wenn etwas unklar ist», sagt Baur. Das gilt für Fragen an andere Verwaltungsrät/-innen, an den CEO, aber auch Nachfragen bei Externen. Dadurch werden nicht nur neue Erkenntnisse gewonnen, sondern auch das Netzwerk gestärkt: «Ein gutes Netzwerk ‘zum Nachfragen’ ist von grossem Vorteil, da nicht alle Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind», so Stephan Käser, CFO, & Head Corporate Services bei Finform AG.

Für eine gute Zusammenarbeit ist es auch wichtig, dass sich alle zu allen Themen äussern. «Starre Rollenverteilungen sollten aufgebrochen werden. Der Jurist sollte sich nicht nur zu rechtlichen Themen einbringen und die Bankerin nicht nur zu Finanzthemen», sagt Baur. Dazu gehöre auch eine gute Fragekultur: kritisches Hinterfragen trage zu einem konstruktiven Dialog bei.

Wenn es hart auf hart kommt, haben Verwaltungsrät/-innen immer die Möglichkeit, Entscheidungen zu blockieren. Die Aussage «Ich kann diese Entscheidung nicht treffen, denn mir fehlt die Information XY», ist sehr mächtig. Die Geschäftsleitung will nicht nachgesagt bekommen, sie hätte eine Entscheidung durchgerungen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird sie deshalb das nächste Mal mehr und bessere Informationen zur Verfügung stellen.

Es «menschelt»

Im «CAS Verwaltungsrat» von Rochester-Bern hilft Peter Baur den Teilnehmenden, sich ihrer Rolle im Verwaltungsrat bewusst zu werden und ihre roten Linien zu definieren. So werden sie zu verantwortungsbewussten Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräten, die fundierte Entscheidungen treffen. Letztlich kommt es weniger auf praktisches oder theoretisches Wissen an, sondern vor allem auf die Qualitäten als Mensch. «Im Verwaltungsrat menschelt es wie in jedem Kegelclub. Die Kunst ist, damit umzugehen», so Baur.