Die Weltpolitik ist in Aufruhr: Die transatlantischen Beziehungen bröckeln, mehrere Kriege sind im Gange und auch die Nachbarländer der Schweiz stehen vor Herausforderungen. Aber auch innerhalb der Schweiz nimmt die Geschwindigkeit der Ereignisse zu. Nicht zuletzt durch die digitale Transformation. «Die Welt ist dynamischer und damit auch unsicherer geworden», sagt Beat Scheidegger, Verwaltungsrat, Strategieberater und Dozent für strategische Führung am CAS Verwaltungsrat bei Rochester-Bern. Wie ist es in einer so schnelllebigen Welt überhaupt noch möglich, eine sinnvolle Strategie zu entwickeln? Scheidegger gibt Antworten.
Traditionell haben Unternehmen alle fünf Jahre eine Strategie erstellt, die dann für diesen Zeitraum gültig war. Ist dies noch zeitgemäss? «Das hängt davon ab, welche Ambitionen das Unternehmen hat und wie dynamisch der Markt ist», sagt Scheidegger. Bei Unternehmen, die sich in einem sehr dynamischen Markt bewegen und grosse Ambitionen haben, haben es mit traditionellen Modellen schwierig: «Führungskräfte, die in einem solchen Umfeld auf die klassischen Modelle setzen, laufen Gefahr, Chancen zu verpassen oder Risiken zu übersehen», fügt er hinzu.
Anders verhält es sich bei sehr traditionellen Märkten. Ein Beispiel ist der öffentliche Verkehr. Auch dieser Markt hat sich verändert, zum Beispiel durch die Digitalisierung. Trotzdem ist das Grundkonzept – im Vergleich zu anderen Produkten und Dienstleistungen – noch das Gleiche wie vor 40 Jahren. Insgesamt hat sich dieser Markt nicht so schnell verändert und ist relativ berechenbar. Hier können alte Strategiemodelle durchaus noch zielführend sein. «Wenn Sie wissen wollen, ob für ihr Unternehmen die traditionellen Strategiemodelle noch sinnvoll sind, fragen Sie sich also: Wie dynamisch ist mein Markt und welche Ambitionen habe ich?», so Scheidegger.
Es gibt viele verschiedene neue Strategieansätze. Allen gemeinsam ist, dass sie dynamischer sind, weil sie sich der Geschwindigkeit des Wandels anpassen. Das heisst aber nicht, dass moderne, agilere Strategiemodelle nicht auch langfristig ausgerichtet sind. Es mag paradox klingen doch: «Je unsicherer die Welt, desto wichtiger ist es, eine klare Vision zu haben», so Scheidegger. Um dies zu verstehen, kann laut Scheidegger eine Analogie aus der Bergwelt helfen:
Wer einen Berg besteigen will, hat ein klares Ziel vor Augen – den Gipfel (= Vision). Der Weg zum Gipfel (= Strategie) kann sich jedoch laufend abändern, da die Bedingungen unsicher sind und Anpassungen erforderlich werden. Gerade aber weil der Weg flexibel gehalten wird, ist es umso wichtiger, den Gipfel im Blickfeld zu behalten. Genauso verhält es sich mit der Vision und der Strategie – Ist die Strategie agil, ist eine klare Vision umso wichtiger.
Für die Vision ist es hilfriech, wenn alle ein ähnliches Verständnis von der Zukunft haben. «Nehmen wir als Beispiel die Digitalisierung. An was denken wir, wenn wir Digitalisierung hören? Was bedeutet sie für unser Unternehmen in fünf oder 10 Jahren?», so Scheidegger. «Wenn das Unternehmen ein einheitliches Bild von der Zukunft hat, können Entscheidungen leichter getroffen werden», fügt er hinzu.
Idealerweise wird ca. alle fünf Jahre ein solches Zukunftsbild erstellt. Dies wird allerdings jedes Jahr erneut angeschaut und bei Bedarf werden gewisse Elemente angepasst. In seinen Grundzügen sollte es jedoch stabil bleiben. Um ein möglichst realistisches Zukunftsbild zu erhalten, ist es für kleinere Unternehmen hilfreich, grössere Unternehmen der Branche, die in eigene Trendanalysen investieren, zu beobachten und sich von ihnen einiges abzuschauen. Für das Zukunftsbild können auch Lieferanten und Kund/-innen befragt werden.
«Die Unberechenbarkeit ist die Herausforderung unserer Zeit und wir müssen lernen damit umzugehen», sagt Scheidegger. KI ist dafür ein gutes Beispiel. Unternehmen müssen sich fragen, in welche KI-Innovationen sie investieren. Schliesslich wissen sie nicht, ob diese Innovationen wirklich erfolgreich sein werden und ob sich die Investition am Ende auszahlt. Und manchmal kommen die Investitionen auch zu spät: Bis die Umsetzung erfolgt, ist sie schon wieder veraltet.
In diesem schwierigen Umfeld sind jene Unternehmen im Vorteil, die Testfelder generieren und eine gute Fehlerkultur pflegen. «Unsicherheit bedeutet, dass man keine Erfahrungswerte hat, aus denen man eine Handlung ableiten kann», sagt Scheidegger. Entsprechend ist es kaum mehr möglich, keine Fehler zu machen. Wichtig sei aber, aus diesen Fehlern zu lernen. Wer blind links und rechts alles ausprobiert, kommt nicht weit. Wer aber testet, Fehler zulässt, daraus lernt und entsprechende Anpassungen vornimmt, hat Erfolgspotenzial. «Testen, lernen und anpassen ist auch ein Prozess», sagt Scheidegger und in diese Richtung gehen auch neue Strategiemodelle wie agile Strategie oder teilweise auch Open Strategy.
Die Dynamisierung der Märkte erfordert neue Prozesse, Methoden und Entscheidungswege. Bauen Sie gezielt Kompetenzen auf, um unvorhergesehene Situationen in Wettbewerbsvorteile zu verwandeln. Anpassungsfähigkeit ist keine Option mehr – sie ist die entscheidende Kernkompetenz für Verwaltungsräte und Geschäftsleitung, die zukunftsfähige Unternehmen auszeichnet.