Frauenquote im Verwaltungsrat – Ja oder nein?

Frauenquote im Verwaltungsrat
Noch immer gibt es in der Schweiz deutlich mehr Männer als Frauen im Verwaltungsrat. Ob eine Frauenquote die richtige Lösung ist, um mehr Gleichheit zu schaffen, darüber scheiden sich die Geister. Über 50 Rochester-Bern Alumni/-ae, von denen die meisten selbst über ein Verwaltungsratsmandat verfügen, haben ihre Meinung zu dem Thema geteilt.

Das Schweizer Aktienrecht (Art. 734f) schreibt per 2026 einen Frauenanteil von 30% im Verwaltungsrat vor. Dies gilt für sämtliche grösseren börsenkotierten Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Falls dieser Richtwert nicht erreicht wird, muss das Unternehmen über die Gründe und über die Massnahmen zur Förderung der Frauen Bericht erstatten.

Damit hat die Schweiz einen Richtwert mit Verbindlichkeit geschaffen. Der Artikel ist Vorschrift, allerdings sind die Konsequenzen bei Nichteinhaltung relativ milde – die Unternehmen müssen lediglich eine Begründung abliefern. Viele ausländische Pendants sind gemäss PWC diesbezüglich strenger: In Norwegen gilt seit 2006 eine Frauenquote in Aufsichtsräten von 40%, in Frankreich seit 2010 und in Deutschland gilt seit 2016 eine Quote von 30%. Der EU-Ministerrat hat zudem eine Frauenquote von 40% für Aufsichtsräte von börsenkotierten Unternehmen in der EU beschlossen, die bis 2027 Realität werden soll.

Gemäss dem Schillingreport 2024 erreichen die 100 grössten Schweizer Arbeitgeber bereits die Geschlechterrichtwerte. Zwei Jahre vor dem Ablauf der Übergangsfrist zählen diese Verwaltungsräte 31% Frauen. Unter den neu gewählten Verwaltungsratsmitgliedern finden sich 45% Verwaltungsrätinnen – ein absoluter Spitzenwert. Fast die Hälfte vakanter Verwaltungsratssitze wurde somit neu mit einer Frau besetzt. Und in gewissen Einzelfällen haben Frauen durch Verwaltungsratsmandate auch grossen Einfluss erlangt, wie das Beispiele Geraldine Matchett oder Luisa Delgado zeigen. Trotz dieser sehr positiven Entwicklung sind die Meinungen bezüglich der Frauenquote gespalten. Denn der Schillingreport zeigt auch, dass die Fluktuation von Frauen an der Spitze höher ist denn je. Es fragt sich, was sich dagegen unternehmen lässt.

Die Quote: Eine unbeliebte Massnahme

Rochester-Bern bietet den Studiengang «CAS Verwaltungsrat» an, der sich an Personen mit Verwaltungsratsmandat richtet. Der Grossteil der Teilnehmenden sind Verwaltungsräte/-innen bei Schweizer KMU und somit nicht von der Quote betroffen. Eine Umfrage bei den Absolventen/-innen des Lehrgangs von Rochester-Bern (RoBe) hat ergeben, dass hier der Frauenanteil bei ca. 20% liegt und somit niedriger ist als bei den grössten Schweizer Unternehmen. Zudem zeigt die Befragung, dass über 60% eine Frauenquote klar ablehnen.

Begründet wird die Ablehnung der Frauenquote mehrheitlich damit, dass die Qualifikation bei der Wahl im Vordergrund stehen sollte und nicht das Geschlecht. Die Regulierung führe auch dazu, dass Frauen als «Quoten-Frauen» abgestempelt würden. «Solche Vorgaben helfen nicht und sind kontraproduktiv, da der Eindruck entstehen kann, dass weibliche Verwaltungsrats-Mitglieder lediglich dank der Quote im Gremium vertreten sind», sagt Stephan Gerber, Inhaber Gurtner Gruppe AG. Besser sei es, wenn natürliche Anreize geschaffen würden, z.B. im Rahmen von besseren Voraussetzungen (Zeit, Ort, Arbeitsweise, Bezahlung, Organisation usw.). Kein Thema sei die Qualifikation von Frauen. «Es gibt sehr viele gut qualifizierte Frauen. Diese sind teilweise noch nicht sichtbar. Das braucht Zeit und da hilft meines Erachtens auch keine Quote», so Sarah Schläppi, Geschäftsführerin Bracher & Partner.

Die Minderheit, welche sich für eine Quote ausspricht, argumentiert, dass dies ein notwendiges Übel sei, um das Diversitätsziel zu erreichen: «Eigentlich ist es peinlich, dass man solche Quoten vorgeben muss. Auf Verwaltungsratsstufe sollte man sich der Vorteile von Diversität bewusst sein und nicht genötigt werden müssen mit Quoten, diese Vorteile zu nutzen. In der Realität ist es leider immer noch so, dass Männer häufig Männer wählen; entsprechend wird die Quote helfen, mehr Frauen in den Verwaltungsrat zu bringen», sagt Andrea Leute, Vizedirektorin des Bundesamtes für Landwirtschaft. Andere sehen die Regulierung als einen Impuls, um eine Veränderung zu starten: «Die Quote kann als notwendiger Anstoss dienen, um bestehende Ungleichgewichte zu korrigieren und einen Kulturwandel in Unternehmen herbeizuführen», so Ferdinand Kobelt, Verwaltungsrat bei International Baccalaureate.

Die Kultur: Die diversitätsfördernde Alternative zur Quote

Um Verwaltungsrät/-in zu werden, ist Führungserfahrung von Vorteil. Damit es mehr Frauen in den Verwaltungsrat schaffen, müssten Frauen somit erstmals in Leitungsfunktionen kommen: «Hier müssen Verwaltungsräte früher ansetzen und für eine passende Geschlechterverteilung und Diversität auf allen Ebenen in der Unternehmung achten», so Tatjana Zbinden, Verwaltungsrätin und Gründungspartnerin von der Aluan AG. In der aktuellen Unternehmenslandschaft hätten sich zudem Netzwerke gebildet, die von Männern dominiert seien und auch dazu führten, dass Frauen, wenn es um Verwaltungsratsmandate gehe, zu kurz kämen. «Rekrutierungsverfahren beruhen immer noch mehr auf dem persönlichen Netzwerk, anstelle von einer transparenten Evaluation der Kandidatinnen und Kandidaten» sagt Urs Zaugg, Vizepräsident Caritas Bern.

«Das Stichwort lautet Kulturwandel: Wir brauchen Unternehmenskulturen, in denen sich Männer und Frauen entfalten und konstruktiv zusammenarbeiten können», sagt Petra Joerg, CEO von Rochester-Bern. Solche Kulturen seien die Grundlage für Diversität überhaupt, also Mitarbeitende verschiedenen Alters, verschiedener Nationen, aller Geschlechter. Aktuell seien Unternehmen historisch bedingt von einer Kultur geprägt, in der sich mehrheitlich Männer wohlfühlen würden (eher hierarchisch statt gemeinschaftsorientiert strukturiert). Joerg: «Bei der Kultur müssen wir ansetzen, um Diversität in den Unternehmen zu fördern und letztlich auch mehr Frauen in Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungspositionen zu bringen.» Zu diesem Ergebnis kommt auch der aktuelle  Schillingreport.

Die Diversität: Erfolgsfaktor in herausfordernden Zeiten

Die befragten Alumni und Alumnae sind sich darüber einig, dass gemischte Teams Vorteile bieten, da unterschiedliche Perspektiven einen breiteren Blick ermöglichen. Mehrere betonen dabei allerdings, dass Diversität weiter gehe als nur die Genderfrage: «Ich möchte mich hier nicht auf das Geschlecht reduzieren, sondern vielmehr den Menschen mit seiner Erfahrung, Kultur und seinem Hintergrund in den Vordergrund stellen», so Daniel Aebersold, Co-Lead Strategie und Verwaltungsrat der Nexplore AG.

Inwiefern neue Blickwinkel helfen, ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse aller beteiligten Personen zu haben, zeigt das Beispiel von Alexandra Schüller, Stv. ärztliche Leitung MediZentrum Lyss AG: «Unser Assistenzpersonal in der Praxis ist gänzlich weiblich. Das heisst, bei knapp 30 Mitarbeitenden haben wir nur drei Männer. Von den männlichen Führungskräften ist keiner auf die Idee gekommen, den Frauen gratis Menstruationsprodukte zur Verfügung zu stellen.» Das einfache Beispiel illustriert: Je mehr unterschiedliche Menschen in einem Raum sind, desto mehr Verständnis herrscht für die Bedürfnisse, Anliegen und Interessen aller.

Fazit: Bereit für die Veränderung

Auch wenn es noch viel zu tun gibt, und Uneinigkeit darüber herrscht, wie das Ziel erreicht werden soll, verbindet der Wunsch einer Arbeitswelt, in der alle ihr Potenzial verwirklichen und möglichst produktiv wirken können. Die meisten der befragten Alumni/-ae blicken positiv in die Zukunft: «Es gibt zu wenig Frauen in Führungspositionen. Ich gehe aber davon aus, dass sich dies in den nächsten zehn Jahren ändert, weil die Gesellschaft, die Arbeitsmodelle und die Weiterbildungsangebote variabler werden. Ich freue mich darauf», so Bala Trachsel, Inhaberin Republica.

Gendergleichheit und Diversität generell sind somit auch ein Weiterbildungsthema, und das ganz besonders vor dem Hintergrund mehrerer und ganz verschiedener Generationen im Unternehmen und der grundsätzlichen Disruption des Geschäfts durch Künstliche Intelligenz. Rochester-Bern leistet mit dem CAS Verwaltungsrat einen Beitrag zur Professionalisierung in Verwaltungsratsgremien, in denen Frauen und Männer ihre Kompetenzen vertiefen können. Im CAS Leadership & Inclusion liegt der Fokus darin, diverse Teams erfolgreich in die Zukunft zu führen. Und das CAS Digital Acceleration bereitet auf eine erfolgreiche digitale Transformation in Unternehmen und Gesellschaft vor.

Über die Umfrage

Für die Umfrage hat Rochester-Bern 292 Personen befragt. Davon haben 52 Personen an der Umfrage teilgenommen, darunter 18 Frauen. Bei den befragten Personen handelt es sich um Alumni/-ae des CAS Verwaltungsrat von Rochester-Bern. Fast alle befragten Personen verfügen über ein oder mehrere Verwaltungsratsmandate oder waren zumindest früher in einem Verwaltungsrat tätig.

Beitrag von: Amélie Lustenberger