Leadership im Wandel der Karrieren

20220913_headerpicture_company_specific
Martina Zölch, Professorin für Leadership & HRM, Andreas Mollet, Geschäftsleiter und Mitgründer INOLUTION Innovative Solution AG und Barbara Josef, Co-Founder von 5to9 AG wurden gefragt, wie neue Karrierewege aussehen und was dies für Führungskräfte bedeutet.

Was bedeutet ein erfolgreicher Lebenslauf? Die Antworten auf diese Frage sind so individuell wie die Menschen, die sie beantworten. Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, das Potenzial ihrer Mitarbeitenden zu fördern und sie in ihren vielfältigen Karrierewegen zu unterstützen. Belohnt werden sie durch eine gestärkte Mitarbeiterbindung.

 

Früher verliefen Lebensläufe meistens relativ gradlinig, entlang einer Karriereleiter: ein stetiger Aufstieg in eine höhere Position der Hierarchiestufe. Heute sind die Wege vielfältiger. Es geht weniger um einen Aufstieg und mehr um einen dynamischen Ansatz, bei dem berufliche Entwicklung im Fokus steht – im Sinne eines «Karrieregitters». Die Karriere sollte die Möglichkeit bieten, zwischen verschiedenen Projekten, Fähigkeiten und Erfahrungen zu wechseln und dabei kontinuierlich die persönliche und berufliche Entwicklung fördern. Was spricht beispielsweise dagegen, dass eine Person abhängig von der persönlichen Situation innerhalb der Hierarchiestufen flexibel auf- und absteigen kann? Vielleicht möchte ein frisch gebackener Familienvater eine Weile aus seiner Führungsrolle abtreten, um mehr Zeit für die Familie zu haben und später wieder dort einsteigen? «Einen typischen Karriere- oder Laufbahnweg wird es immer weniger geben. Wir werden eher von einer Vielfalt von Laufbahnwegen sprechen», sagt auch Martina Zölch, Professorin für HRM und Dozentin beim CAS Leadership & Inclusion. Noch einen Schritt weiter geht Barbara Josef, Co-Founder von 5to9 AG und Absolventin des CAS Verwaltungsrat bei Rochester-Bern. Sie stellt die Frage in den Raum «Ist das Karrieredenken nicht verstaubt? Ich rate allen, in und mit Organisationen zu arbeiten, die eine ‘Wachstumskultur’ haben, wo man einander Vertrauen schenkt und viel mitgestalten kann»

Hinzu kommt, dass der Aufstieg in der Karriereleiter von anderen Aspekten abhängt. Früher waren Alter, Dienstjahre, Diplome und Erfahrung entscheidend. 2025 stehen Kompetenzen und Skills im Vordergrund. Personen werden eingestellt und befördert, wenn sie über die nötigen Fähigkeiten verfügen und nicht, aufgrund von Formalitäten. «Dieses Matching zwischen Aufgabe und Kompetenzen muss nicht mehr nur im Bewerbungsprozess passen, sondern auch beim nächsten Karriereschritt», so Andreas Mollet, Geschäftsleiter und Mitgründer INOLUTION Innovative Solution AG und Referent im CAS Digital Accleration & AI von Rochester-Bern.

 

Das Potenzial von Mitarbeitenden erkennen und fördern

Es gibt folglich keine « One-Size-fits-all» -Lösung für die Karrieremodelle innerhalb eines Unternehmens. Stattdessen muss die Laufbahnplanung individuell erfolgen und den unterschiedlichen Präferenzen einzelner Mitarbeitenden Rechnung tragen. Hierbei ist es zielführend, wenn Unternehmen sich überlegen, was «ein Talent» in ihrer Organisation überhaupt ausmacht. «Potenzial braucht immer auch einen unternehmerischen Kontext – welche Kompetenzen sind für unser Unternehmen zielführend und müssen gefördert werden?», so Mollet. Für Führungskräfte bedeutet dies: «Die stärkenorientierte Führung rückt mehr in den Fokus», so Zölch. In anderen Worten: Führungskräfte sollten versuchen, die individuellen Stärken und Interessen der Mitarbeitenden zu identifizieren, gezielt zu fördern und effektiv zu nutzen. Dabei geht es auch Darum, dass Führungskräfte loslassen und Mitarbeitenden Entscheidungen überlassen. «Das Potenzial von Mitarbeitenden erkennt man, indem man ihnen Verantwortung überträgt und ihnen möglichst viel zutraut», so Josef.

Konservative Führungskräfte tun sich teils schwer damit, das Potenzial von Mitarbeitenden zu erkennen, die gesunde Grenzen setzen und mehr auf persönliche Entwicklung als auf hierarchische Karrieren aus sind. Sie verwechseln die neuen Wege mit mangelnder Ambition und verpassen dadurch Chancen. Ein Beispiel hierfür ist der Wunsch nach Teilzeitarbeit auch in komplexen Fach- und Führungsfunktionen, der von einigen Führungskräften weiterhin kritisch beäugt wird. Dabei haben bereits Studien aus den 90er Jahren gezeigt, dass Teilzeitmitarbeitende produktiver arbeiten – also mehr Arbeit in kürzerer Zeit leisten und gewisse Termine auf ihre freien Tage legen. «Zeitgemässe Unternehmen stellen Präsens- und Arbeitszeit nicht mit Performance und Leistung gleich. Sie schaffen den Freiraum, dass sich Mitarbeitende eigenverantwortlich so organisieren, dass die Erwartungen, Ziele und Ergebnisse erfüllt werden – wann und wo auch immer. Diese ergebnisorientierte Kultur ist gleichermassen ein Gewinn für Mitarbeitende und Unternehmen», so Mollet. Potenzielle Fach- und Führungskräfte erwarten inzwischen auch die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten. «In vielen Fällen kann es sich ein Arbeitgeber gar nicht mehr leisten, solche Stellen nur zu 100 Prozent auszuschreiben», sagt Zölch.

 

Neue Anreize schaffen

Gemäss der Theorie des Homo oeconomicus ist der Mensch ein rationales Wesen, das seine Interessen maximiert. Demzufolge stellen eine Lohnerhöhung und eine Beförderung den grössten Anreiz für Arbeitnehmende dar. Doch das Bild des Homo oeconomicus gilt als überholt. In der modernen Management-Lehre gilt der Lohn als ein Hygienefaktor: Er muss gewährleistet sein, um Unzufriedenheit zu vermeiden, trägt aber nicht zu mehr Zufriedenheit bei. «Trotz aller Unkenrufen ist die monetäre Komponente nicht zu unterschätzen, wobei diese je nach Branche und Lebenssituation sehr unterschiedlich sein kann. Gleiches gilt für Karrieremöglichkeiten», sagt hingegen Mollet. Dies zeigt, dass auch hier individuell auf die Mitarbeitenden eingegangen werden muss – je nach Umständen und Person ist der monetäre Anreiz noch zielführend, bei anderen ist er nur die Basis. Josef fasst es sehr passend zusammen: «Mitarbeitende sollen auch heute noch fair entlöhnt und am Erfolg ihres Unternehmens beteiligt werden. Das ist das Fundament. Die intrinsische Motivation wird jedoch nicht durch monetäre Anreize genährt, sondern, durch das Gefühl, am richtigen Ort zu sein und gemeinsam Erfolg zu haben. »

 

Folgende weiteren Anreize können, gemäss Zölch, Unternehmen ihren Mitarbeitenden bieten:

  • Interessante Arbeitsinhalte, die Gestaltungs- und Handlungsspielräume lassen.
  • Ein gutes Team, in dem auch die zwischenmenschlichen Beziehungen stimmen.
  • Flexible Arbeitszeiten, die eine möglichst optimale Organisation von Arbeits- und Freizeit ermöglichen.
  • Wertschätzende und unterstützende Führung auf Augenhöhe, die auch Verantwortung abgibt.
  • Vielfältige Laufbahnwege, welche die persönliche und berufliche Entwicklung fördern.
  • Sinnhaftigkeit: Eine Organisation und Tätigkeit, die ein grösseres Ziel haben und Gutes bewirken.

 

Laufbahnwege differenzierter denken

Angesichts des Fachkräftemangels gewinnt die Mitarbeiterbindung an Bedeutung. «Hierfür müssen Karrieren vielfältiger und differenzierter gedacht werden: von Quer- und Wiedereinsteiger/-innenüber späte Karrieren und Laufbahnen 55plus bis hin zu flexiblen Beschäftigungsformen und damit verbundenen Laufbahnwegen», so Zölch. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass sie sich von klassischen und typischen Berufsbildern und Karrierewegen lösen müssen. Den vorgefertigten Karriereweg-Grafiken müssen individuellen Entwicklungsmöglichkeiten weichen. «Mein Empfehlung ist es, solche neuen Entwicklungsprogramme gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu entwickeln. So verkommen sie nicht zum willkürlichen Selbstbedienungsbuffet, sondern die Mitarbeitenden sehen hinter die Kulissen, gestalten mit, vernetzen sich und tragen Mitverantwortung für ein gutes Ergebnis», sagt Josef. Der Aufwand lohnt sich, denn «Wenn ich es als Führungskraft schaffe, bei Mitarbeitenden konsequent Stärken und Potenziale zu nutzen, profitieren alle», so Mollet.