Die Situationen kommen Ihnen vielleicht bekannt vor: Sie legen im Verwaltungsrat (VR) Ihre Argumente dar und kaum haben Sie geendet, kommt ein grosses ABER aus interner Sicht, das Sie inkompetent aussehen lässt? Oder… der VR entscheidet in Eile über ein strategisch wichtiges Thema, weil die Agenda zu gedrängt ist? Oder… Sie haben eine angeregte Diskussion und am Ende fasst der Präsident so zusammen, dass seine Meinung gilt?
Das sind nur einige von vielen Beispielen, die wir in den letzten Monaten von VR-Mitgliedern gehört haben. Sie sind zwar im VR und tragen Verantwortung, können sich aber kaum einbringen. Das führt zu Unzufriedenheit und zudem zu schlechten Entscheidungen im Gremium. Die Gründe liegen häufig in der Dynamik im VR und bei der Persönlichkeit, die den VR führt: dem Präsidenten oder der Präsidentin (VRP).
Der/die VRP ist hauptverantwortlich für das rechtskonforme Funktionieren des VR. Im Minimum setzt er/sie die Themen für die Sitzungen (Traktandenliste), sorgt für die Weiterverfolgung der Pendenzen, definiert die Prozesse des VR, leitet die Diskussion so, dass der Fokus erhalten bleibt und Entscheidungen gefällt werden, und kümmert sich um die Werte des Boards sowie die «Rules of Engagement».
Gerade der letzte Punkt, die Werte und Regeln für das Zusammenspiel im VR, kann sehr verschieden gelebt werden. Im Idealfall stimuliert der/die VRP eine fokussierte Diskussion und sorgt für die Beteiligung aller innerhalb des gegebenen Zeitrahmens. Dabei fördert er/sie wahres Engagement und Vertrauen im VR, sprich: psychologische Sicherheit. Was aber genau heisst das im Kontext eines Gremiums?
VR-Mitglieder sehen sich nur einige Male im Jahr, sind also ein Team, das sich meist kaum kennt. Die Sitzungen sind durch Formalitäten geprägt und es ist allen klar, dass der/die VRP und der/die zumeist anwesende CEO einen grossen Informationsvorsprung haben. Ebenso wie in anderen Gruppen gibt es also Motive, sich keine Blösse geben zu wollen und lieber zu schweigen als zu reden, wenn man sich unsicher fühlt. Genau das ist aber nicht die Aufgabe des VR.
Die Moderation durch den/die VRP macht hier den Unterschied: alle Fragen zum Thema sind erlaubt, Beharrlichkeit, gegenseitiger Respekt und konstruktiver Dissens werden gefördert. Es ist also gut, wenn nicht alle sofort gleicher Meinung sind oder brave Fragen stellen. Ein solcher Diskurs führt zu wirklichem Konsens und klareren Entscheidungen, die dann tatsächlich von allen Mitgliedern mitgetragen werden.
Letztlich beginnt eine solche Kultur des VR schon bei dessen Zusammensetzung. Gibt es Diversität im Gremium, und wie wird damit umgegangen? Weiter geht es mit der Einführung neuer Mitglieder. Werden hierbei nicht nur fachliche Themen vermittelt, sondern explizit auch kulturelle, wie zum Beispiel die «Rules of Engagement»? Ebenso wichtig ist es, dass der VR Gelegenheit hat, sich ausserhalb der Sitzungen auszutauschen und privat kennenzulernen, das erhöht das Vertrauen.
Doch auch innerhalb der Sitzungen ist gemeinsame Reflexion wichtig, spontan oder auch auf Basis einer Evaluation. Zentral auch hier: Offenheit und Vertrauen. Wenn der VR so miteinander umgeht, fällt er nicht nur bessere Entscheidungen, sondern strahlt auch aufs Unternehmen aus, als Vorbild und strategischer Partner. Psychologische Sicherheit im VR so betrachtet, sollte ein Ziel sein für alle Gremien.