Resilienz – hinfallen, aufstehen und wieder üben

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«Wer Resilienz versteht, ist noch lange nicht resilient», sagt Markus Renevey. Denn Resilienz will gelebt und geübt werden. Woher Resilienz kommt und wie sie Teil des Lebens wird, erklärt er in diesem Beitrag.

Es gibt viele Bezeichnungen für die Welt, in der wir heute leben. Die bekannteste ist die VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity). Letztlich gehe es immer um dasselbe, sagt Markus Renevey, Gründer und Leiter des Swiss Resilience Hub in Zürich und Gastreferent im CAS Leadership & Inclusion: „Die Menschen sind verunsichert, weil alles immer komplexer wird.“ Ein Beispiel dafür sind Deep Fakes – realistisch wirkende Medieninhalte, die durch Techniken der künstlichen Intelligenz verändert, generiert oder verfälscht werden. Während wir uns früher auf Fotos und Videos verlassen konnten, müssen wir uns heute fragen, welche Inhalte echt sind.

Diese zunehmende Komplexität erfordert mehr Resilienz – das bedeutet, nach Krisen immer wieder aufzustehen und im besten Fall etwas daraus lernen. «Resilienz meint keinesfalls, dass wir uns so konditionieren, dass wir alles aushalten und uns nichts mehr umhaut. Resiliente Menschen sind verletzlich und können sich überfordert fühlen. Es ist sogar wichtig, solche Zustände zuzulassen. Resilienz bedeutet, sich immer wieder aufzurappeln und sich an Veränderungen anzupassen», sagt Renevey. Mit anderen Worten: die Kunst, Widrigkeiten zu akzeptieren und zu lernen, mit ihnen umzugehen.

Woher kommt Resilienz?

Die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner ist der Frage nachgegangen, was gewisse Menschen resilienter macht als andere. Dazu untersuchte sie 201 Kinder, die alle eine schwierige Jugend hatten. Entgegen allen Erwartungen führten 72 von ihnen trotz ihrer schwierigen Vergangenheit ein stabiles und gutes Leben. Der entscheidende Faktor, der den Unterschied ausmachte, so Werner, waren würdevolle und respektvolle Beziehungen. Die 72 Kinder hatten vielleicht keine gute Beziehung zu ihren Eltern, aber sie hatten alle mindestens eine Person – Lehrerin, Verwandte usw. -, die ihnen eine positive Bindungserfahrung bot und sie dadurch resilient werden liess.

Gemäss Renevey gibt es noch andere Resilienz-Faktoren bzw. -Kompetenzen, wie sie beim Swiss Swiss Resilience Hub heissen. Es sind diese sieben:

  • Selbstführung: Sich selbst kennen und führen, um im Einklang mit sich selbst zu leben.
  • Gesundheitskompetenz: Relevantes Wissen über Ernährung, Erholung, Bewegung und dies auch «leben».
  • Verbundenheit: Tragfähige Beziehungen eingehen und führen (ein Aspekt, den auch Emmy Werner betont).
  • Sinn- und Lösungsorientierung: Sinnvolles Denken und Handeln fördern und zukunftsorientiert handeln.
  • Akzeptanz und Adaption: Umstände annehmen, die man nicht ändern kann, und sich an neue Situationen anpassen.
  • Eigenverantwortung: Verantwortung für das eigene Wohlergehen übernehmen und die Schuld nicht bei anderen und äusseren Faktoren suchen.
  • Realistischer Optimismus: Kein «blinder» Positivismus, sondern eine der jeweiligen Situation angemessene zuversichtliche Haltung.

Resilienz Trainieren

Die schlechte Nachricht ist, dass ein Teil der Resilienzfähigkeit angeboren ist oder in der frühen Kindheit erworben wird. Die gute Nachricht ist, dass es immer noch einen beeutenden Rest gibt, den man ein Leben lang lernen kann. «Resilienz wird trainiert, indem man sich in Selbstwahrnehmung, Selbstermächtigung und Selbststeuerung übt. Je besser das gelingt und je mehr positive Erfahrungen man damit macht, desto leichter fällt es einem», sagt Renevey.

Bei der Selbstwahrnehmung geht es darum, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu kennen. Darauf basiert auch die Methode der Achtsamkeit – im Hier und Jetzt und mit sich in der Welt verbunden sein. Selbstermächtigung ist nichts Egoistisches – wie man auf den ersten Blick meinen könnte – sondern die Basis, um dann auch für andere da sein zu können. Und last but not least meint die Selbststeuerung, die eigenen Emotionen, das Denken und Handeln regulieren zu können.

Change leave love

Das Modell «Change leave love» ist sehr einfach und hilft Entscheidungen bewusst zu fällen. In jeder Situation gibt es laut Modell drei Möglichkeiten: Sie verändern, sie verlassen oder sie lieben lernen. Renevey erklärt das an einem Beispiel: «Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem offenen Büro und jemand telefoniert unangenehm laut. Sie können die Person bitten, leiser zu sprechen (change), den Raum verlassen (leave) oder den Lärm akzeptieren (love)». Wenn man sich nicht in einem dieser drei Zustände befindet, gerät man automatisch in die Opferhaltung, in der man aggressiv, verzweifelt oder wütend werden kann (Suffer).

Es geht nicht darum, diesen vierten Zustand zu vermeiden: «Suffer (zu leiden) ist wichtig!», sagt Renevey. Es zeigt einem, wie es einem geht und dass man sich selbst wahrnimmt. Resilienz sei nicht die Abwesenheit negativer Gefühle, sondern die Fähigkeit, mit ihnen umzugehen. «Das Leben ist ein ständiges Hin und Her von Leave, Suffer, Love, Change, dann versucht man es wieder mit Leave…. und so weiter», fügt er hinzu. Schliesslich gehören alle Gefühle zum Menschsein. Gemäss dem Sprichwort „Man kann nicht nass werden vom Wort Wasser“ muss auch Resilienz gelebt und nicht nur studiert werden. «Ich muss Resilienz nicht können, aber ich kann es immer wieder versuchen – hinfallen, aufstehen und wieder üben», schloss Renevey.