Nachhaltigkeit im Unternehmen – Chancen, Innovation und Integration

Symbolbild Lidl
Viele Unternehmen assoziieren Nachhaltigkeit primär mit Kosten und Aufwand. CAS Verwaltungsrat Alumna Julia Baumann ist Head of Sustainability bei Lidl Schweiz und sieht Nachhaltigkeit als Chance. Nicht nur, weil Energie und Ressourcen eingespart und damit Kosten reduziert werden können. Sondern vor allem auch, weil Nachhaltigkeit die Marke als Arbeitgeber stärkt und ein Treiber für Innovation ist.

Das Thema Nachhaltigkeit zieht sich durch das Leben von Julia Baumann hindurch: Die studierte Umweltingenieurin, hat einige Jahre in der Energiebranche und im internationalen Anlagenbau gearbeitet. Heute leitet sie das Nachhaltigkeitsmanagement bei Lidl Schweiz, ist Vizepräsidentin von United Against Waste und Verwaltungsrätin bei der Hauenstein AG. Was sie am Thema Nachhaltigkeit fasziniert: «Die zahlreichen internen und externen Schnittstellen, die rasante Entwicklung auf dem Gebiet und die vielen Wechselwirkungen. Das Thema ist facettenreich und selten schwarz-weiss». Sie ist davon überzeugt, dass nur das nachhaltig ist, was auf mittlere Sicht auch profitabel ist. Und vice versa. Warum Nachhaltigkeit für Unternehmen unverzichtbar geworden ist und wie man sie am besten integriert, erklärt sie in diesem Beitrag.

Warum Nachhaltigkeit ins Unternehmen gehört

Heute geht es in vielen Unternehmen zunächst um die Einhaltung von Gesetzen oder um die Vorbereitung auf absehbare regulatorische Verschärfungen. Dabei stehen Themen wie Transparenz, Sorgfaltsprüfung und die Berichterstattung im Fokus. «Die gesetzlichen Vorschriften oder daraus resultierenden Anforderungen von grossen Unternehmen an kleinere Auftragnehmer, gehen in diesen Bereichen zum Teil sehr weit und sind für manche Unternehmen bereits heute eine Herausforderung», sagt Baumann. Für sie ist klar: «Unternehmen tun gut daran, die nötigen Prozesse zeitnah einzuführen und dabei einen Fokus darauf zu legen, dass sie die relevanten Daten mit möglichst geringem Aufwand und in guter Qualität verfügbar machen können». Baumann spricht hierbei von einem «Hygienefaktor», mit dem sich Unternehmen heute zwar nicht mehr profilieren können, der aber die Basis für das weiterführende Nachhaltigkeitsengagement sei. Denn: «Was man nicht misst, kann man auch nicht lenken.»

Bei Unternehmen, die Nachhaltigkeit schon eine paar Jahre auf der Agenda haben, stellt Baumann fest: «Nachhaltigkeit wird zunehmend aus einer Chancen- und weniger aus einer Risikoperspektive betrachtet.» Als konkrete Chance nennt Baumann die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitenden. Arbeitskräfte, insbesondere jüngere, gewichten die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit stärker.  Baumann rät: «Unternehmer/-innen und explizit auch Verwaltungsräte/-innen sollten heute nicht nur darlegen können, wie negative Auswirkungen auf Gesellschaft oder Umwelt reduziert werden. Vielmehr sollte im Fokus stehen, wie das Unternehmen dazu beiträgt, aktuelle Herausforderungen zu lösen. Was ist der positive Handabdruck der Produkte oder Dienstleistungen des Unternehmens?» Wer darauf heute keine Antwort hat, für den ist die Nachhaltigkeit ein hervorragender Startpunkt, sich über (Geschäftsmodell-) Innovation Gedanken zu machen.

Spannend findet Baumann, dass übergeordnete Nachhaltigkeitsthemen heute vermehrt unternehmens- oder gar branchenübergreifend angegangen werden. Dabei spanne man auch mit Lieferanten, NGOs, Behörden oder Mitbewerbern zusammen. Beispiele aus dem Retail seien das Engagement für den Aufbau eines nationalen Sammelsystems für Kunststoffverpackungen und Getränkekartons – weg von einem linearen hin zu einem kreislauffähigen System. Oder auch die branchenübergreifende Vereinbarung zur Reduktion von Lebensmittelabfällen in welcher sich eine breite Allianz von Unternehmen dafür einsetzt die Lebensmittelabfälle bis 2030 zu halbieren.  «Keiner der Akteure kann diese Probleme allein lösen. Aber gemeinsam kann das funktionieren», sagt Baumann.

So gelingt Nachhaltigkeit im Unternehmen

«Weniger ist mehr», sagt Baumann, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Im Fachjargon spricht sie von Wesentlichkeitsanalyse. Diese sei die Basis für ein wirksames Nachhaltigkeitsmanagement. Konkret beurteile ein Unternehmen damit einerseits, welche Auswirkungen seine Geschäftstätigkeit auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt habe. Andererseits gelte es zu bewerten, wie der Geschäftserfolg von unterschiedlichen Nachhaltigkeitsthemen tangiert werde und was die Erwartungen von Anspruchsgruppen an das Unternehmen seien. «Fokussierung ist zentral. Unternehmen müssen sich bewusst entscheiden, was sie machen und was auch nicht. Man muss auch mal Nein sagen können», so Baumann.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Nachhaltigkeit nicht als losgelöste Teilstrategie gedacht wird, sondern eng mit der Unternehmensstrategie verknüpft ist. «Die Zeiten in denen Nachhaltigkeitsprojekte neben dem Kerngeschäft her laufen sind vorbei», meint Baumann und erläutert: «Für einen Detailhändler wie Lidl Schweiz beispielsweise liegt der Fokus des Nachhaltigkeitsengagements folglich auf dem Einkauf und Verkauf von Produkten». Hierbei hebt Baumann hervor: «Während es zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit noch Usus war, Umweltauswirkungen aus einer rein betrieblicher Optik zu betrachten, wird heute von Unternehmen erwartet, dass sie die Lieferkette miteinbeziehen. Das prominenteste Beispiel ist sicher die Treibhausgasbilanz, welche heute standardmässig auch die indirekten Emissionen z.B. aus den gehandelten Produkten enthält.»

«Nachhaltigkeit in einem Unternehmen kann mit einzelnen Personen stehen oder fallen», sagt Baumann und betont damit die Bedeutung der Menschen im Unternehmen. Dabei kommen dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung eine besondere Verantwortung zu. Einerseits im Sinne einer Vorbildfunktion. Andererseits aber auch bei der Festsetzung der Organisationsstruktur, der Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten und der Besetzung von Schlüsselpositionen im Unternehmen.

Nachhaltigkeit betrifft uns alle

«Politik, Wirtschaft aber auch die Gesellschaft müssen innerhalb ihres Einflussbereiches alle ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Transformation leisten und dabei übergeordnete Herausforderungen auch gemeinsam lösen», so Baumann. Die Politik ist verantwortlich für die richtigen Anreizsysteme und den Abbau kontraproduktiver Regulierungen, die Unternehmen müssen verantwortungsvoll wirtschaften und die Kundinnen und Kunden bewusste Kaufentscheidungen fällen. «Wir stehen hier vor einem Gemeinschaftsprojekt, das aber auch Türen für neue Geschäftsmodelle, für Kooperationen und einen Dialog öffnet», so Baumann.

Bildquelle: Lidl Schweiz